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Ueber Willibald Alexis

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on November 27, 2010 at 6:18:44 am
 

 

Im Aufbau ...

 



 

Der Freihafen [...] Hg. von Theodor Mundt, 5.3 (1842): Der falsche Woldemar S. 176ff.

(Faksimile)

 

O. N.: Deutsche Vierteljahrsschrift 1 (1847), S. 427

 

Ein Roman scheint uns vorzugsweise Erwähnung zu verdienen: «Die Hosen des Herrn von Bredow," von W. Alexis, einem unserer ausgezeichnetsten Romanschriftsteller, der zum Theil etwas herb und schroff in Form und Sprache, doch immer lebendig, kräftig, anschaulich und objectiv zu erzählen und darzustellen weiß. Der gegenwärtige Roman bewegt sich in glücklicher Mittelstellung zwischen Idylle und Spott, Geschichti- und Familienleben, und darf namentlich wegen der sorgsamen Ausarbeitung, die auf das kleinste Detail wie besonders auch auf die Cbarakteristik der darin auftretenden Personen verwandt ist, als Muster aufgestellt werden, gegenüber den vielen neuern Romanschriftstellern, welche ihre Gemälde nur flüchtig anlegen und sich höchstens mit geistvoller Skizzirung begnügen. W. Alexis hat sich vorzüglich die Mark ausersehen, um aus dieser Sandscholle seine Romanstoffe zu ziehen, wie bereits sein „Cabanis," sein "Roland von Berlin" und sein „falscher Waldemar" beweisen, und was sich Poetisches aus den Märkischen Zuständen früherer Zeit machen läßt, hat er redlich daraus gemacht. Diese Vorliebe ist keine Caprice dieses durch und durch männlichen, immer noch zu wenig anerkannten Schriftstellers, sondern ein Resultat ächter historischer Erkenntnis, indem diese verrufene sandige Mark trotz ihrer auswärts so wenig beliebten modernen Berliner auch jetzt noch der lebensvolle gediegene Kern der preußischen Monarchie ist, die sich in wenigen Jahrhunderten durch die Weisheit ihrer Herrscher und die nachhaltige Kraft ihrer Bewohner aus einem Reiche letzten Ranges zu einem Weltreiche emporarbeitete und gewiß noch eine sehr großartige Aufgabe zu lösen hat und lösen wird. Eine solche Erscheinung ist allerdings sehr geeignet den Dichter zu ihrer poetischen Verherrlichung aufzufordern, und mit Vergnügen sehen wir den künftigen märkischen Romanen des Verf. entgegen, in denen er die interessante Reformatlonszeriote des Landes zu behandeln gedenkt. Ton und Haltung des genannten Romans sind durchaus gesund, kräftig, zum Theil wohlthuend humoristisch. Doch ist auch W. Alexis von Verstimmung nicht frei; er hat sie jedoch aus dem Roman in die Vorrede verwiesen.

 

Deutsches Museum 4 (1854), S. 768-770

 

Rezension Isegrimm (mmr)

Fruchtbarkeit und Gediegenheit sind zwei Eigenschaften, die sich überall nur selten vereinigt finden, am seltensten aber bei unsern deutschen Romanschreibern. Bei der Mehrzahl derselben steht die Menge der Productioncn mit ihrer Güte in umgekehrtem Verhältniß; während unsere bessern Schriftsteller Jahre gebrauchen, um ein Buch zu vollenden, das hinterher doch auch nur ein Tropfen mehr ist im Ocean, setzen die Proletarier der Literatur Bücher auf Bücher in die Welt und beuten die Neugier des Publicums mit Erzeugnissen aus, deren Leichtfertigkeit nur ihrer Vergänglichkeit gleichkommt. Eine rühmliche Ausnahme von dieser echt deutschen Regel bildet Wilibald Alexis. Seit mehr als dreißig Jahren gehört er zu unsern beliebtesten und fleißigsten Schriftstellern, seine Bücher sind zahlreich, fast alle Jahre läßt er deren neue erscheinen, und jedes derselben zeigt nicht nur das Talent, sondern auch die Sorgfalt des Verfassers im Wachsen. Diese Fruchtbarkeit ist aber um so mehr zu bewundern, je enger der Kreis ist, auf welchem der Dichter sich seit Jahren bewegt. Wilibald Alexis ist der eigentliche Dichter der Mark, deren anscheinend so dürrer, so einförmiger Boden unter seinen Händen ein wundersames poetisches Leben gewonnen hat. Aber nicht nur die Natur der Mark weiß er uns in unübertrefflichen Landschaftsbildern zu schildern, sondern auch die Eigenthümlichkeit ihrer Bewohner, in alter wie in neuer Zeit, hat er mit Aufmerksamkeit studirt und gibt sie wieder mit einer Sicherheit der Zeichnung und einer Treue der Farbe, wie sie uns bei unsern deutschen Romanschreibern, die durchschnittlich im Reiche der Phantasie besser zu Hause sind als in der Wirklichkeit, wiederum nur höchst selten begegnet. Rechnen wir dazu den gebildeten und einsichtsvollen Patriotismus, welcher alle Schöpfungen unsers Dichters belebt, seine gründliche Kenntniß der vaterländischen Geschichte sowie den glücklichen Takt, mit dem er die wirklich interessanten, die poetisch bedeutenden Momente derselben herauszugreifen weiß, so fürchten wir auf keinen Widerspruch zu stoßen, wenn wir behaupten, daß von allen deutschen Dichtern der Gegenwart Wilibald Alexis dem Ideal des Romandichteis am nächsten kommt.

Auch sein neuestes Weil „Isegrimm. Vaterländischer Roman von W. Alexis" (3 Bde., Berlin, Barthol) zeigt die eben geschilderten Vorzüge unsers Dichters wiederum im hellsten Lichte. Es ist eine Fortsetzung des früher erschienenen „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht", wenn auch die Fäden, welche die beiden Romane verbinden, nur ziemlich locker sind. Wie dort der Zusammensturz des alten Preußen, so werden hier die Elemente geschildert, an denen die Möglichkeit seiner Wiederherstellung sich bildete. Es ist noch nicht die blutig prächtige Morgenröthe von Anno Dreizehn, nur erst die Dämmerung, in welcher Tag und Nacht, alte Schmach und neuer Ruhm noch miteinander im Streite liegen. Doch ahnen wir bereits das hereinbrechende Licht; wo selbst so knorrige, so widerhaarige Charaktere, wie dieser alte Herr von Quarbitz, der neuen Zeit zum Werkzeug dienen müssen, selbst gegen ihren eigenen Willen, da kann der Sieg der guten Sache unmöglich lange ausbleiben. Alles Talent und selbst aller Enthusiasmus ist unfruchtbar, solange ihm der Boden eines gesunden, kräftigen Volkslebens mangelt. Diese Volksnatur, in ihrer dämonischen Ursprünglichkeit, schildert uns der Dichter und wir können es nur billigen, daß er uns dabei auch ihre Auswüchse und Schattenseiten nicht hat verbergen wollen. Ueberhaupt, wenn eine Fülle interessantester Detailmalerei, wenn tiefe Kcnntniß des Gegenstandes und eine edle, mannhafte Gesinnung genügend sind, ein vortreffliches Buch zu liefern, so darf der „Isegrimm" ohne Zweifel auf dieselbe Gunst der Lesewelt rechnen, die den frühern Arbeiten des Verfassers zutheil geworden. Dagegen ist das eigentlich Romanhafte in dem Buch nur schwach; der Held erscheint ganz gegen seine Natur mehr reflectirend als handelnd, und wo er sich endlich zum Handeln entschließt, da entsprechen seine Thaten nicht den Erwartungen, die er in uns rege gemacht. Die ganze Fabel des Buchs ist zu weitläufig angelegt, und die Lockerheit der Ausführung läßt diesen Umstand nur um so sichtbarer werden; die interessantesten Figuren, die spannendsten Situationen werden nur beiläufig, nur in Episoden abgemacht, die zum Theil vortrefflich ausgeführt sind, den Mangel einer durchgreifenden und einheitlichen Handlung aber doch nicht ersetzen können. Irren wir nicht, so hat der Verfasser in zwei Punkten fehlgegriffen und zwar sind es dieselben Punkte, an denen wir schon bei seinem vorletzten Roman Anstoß nahmen; da auch die Irrthümer eines so ausgezeichneten Talents noch immer höchst lehrreich sind, so wollen wir dieselben hier noch einmal zur Sprache bringen. Erstlich hat der Verfasser dem Hange zur Reflexion, der neuerdings bei ihm hervortritt, zu sehr nachgegeben; sein Roman ist zu didaktisch, zu tendenziös. Ganz gewiß soll und darf ein Kunstwerk auch eine politische Grundlage haben; allein dieselbe muß das gesammte Kunstwert durchdringen gleich seiner Seele, seinem Lebenshauch, sie darf nicht hier oder dort in schweren tobten Massen aufliegen wie nacktes Gestein, sondern sie muß sich in poetisches Fleisch und Blut, in Charaktere und Ereignisse verwandelt haben. Der „Isegrimm" ist reich an den vortrefflichsten Bemerkungen über die Lage Preußens zur Zeit des Tilsiter Friedens; Vieles davon ist sichtlich mit nächster Beziehung auf die Gegenwart geschrieben, und allerdings liegt der Vergleich in manchen Punkten so nah, daß es schwer fällt, ihn nicht zu ziehen. Als Zeitungartikel oder auch als eigene Broschüre würden wir diese Betrachtungen mit großem Vergnügen lesen; im Roman dagegen, wo vor allem unsere Phantasie beschäftigt werden soll, wo wir unterhalten, nicht belehrt werden wollen, stören sie; ja ihre allzu häufige Wiederkehr wirkt zuletzt sogar ermüdend und stumpft uns ab gegen die Wahrheit des Inhalts. Ein zweiter und fast noch schlimmerer Fehler besteht in der Vermischung des poetisch erfundenen und des geschichtlich überlieferten Stoffs. Ohne Frage hat der Poet das Recht, die Welt der Wirklichkeit mit den Geschöpfen seiner Phantasie zu bevölkern ; sogar die ganze Kunst und Kraft des Poeten besteht eben nur darin. Aber Geschichte und Erfindung müssen sich gegenseitig durchdringen, es muß ein neues drittes Geschlecht daraus entstehen, welches ebenso sehr der Wirklichkeit wie der Phantasie angehört und eben in dieser Doppelnatur das Zeugniß seines idealen Ursprungs trägt. Im „Isegrimm" dagegen haben wir blos maskirte Geschichte; die historischen Figuren und Zustande sind ganz roh, ganz unvermittelt hinübergenommen, nur mit einem poetischen Mäntelchen um die Schulter, das jedoch den Kundigen nicht zu täuschen vermag, während es den Unkundigen nur in Unruhe und Mißbehagen versetzt. Es entsteht auf diese Weise eine Zwittergattung von Memoire und Roman, die vielleicht für den verwöhnten Zeitgeschmack etwas sehr Pikantes hat, aber doch mit den Grundbedingungen der Kunst ein für alle mal unvereinbar ist. Was der Poet gibt, soll er ganz geben, jedes Kunstwerk muß sich aus sich selbst erklären; ein Roman, bei dem wir jeden Augenblick stillhalten müssen und fragen, wer und was eigentlich gemeint ist, und aha, ganz recht, das ist jener Minister, und der da ist der bekannte General N. N., und diese Situation hier hat sich eigentlich da und da zugetragen und steht da oder dort quellenmäßig beschrieben — nein, ein solcher Roman kann noch immer mit sehr viel Geist geschrieben, er kann eine sehr anziehende, sehr interessante Lecturc sein, aber ein wirklicher Roman, ein eigentliches poetisches Kunstwerk ist er nicht.

 

Gustav Freytag zu Isegrimm (Grenzboten 1854)

 

Wenn es möglich wäre, daß kräftiger Freimuth, Liebe zum Vaterlande und ein feuriges Gefühl für Preußens Ehre, daß diese guten Eigenschaften eines preußischen Mannes den von ihm geschriebenen Roman zu einem schönen Kunstwerk machen könnten, so wäre der vorliegende Roman ein vollkommenes Werk. Denn es ist kaum möglich, mit mehr Wärme den Staat der Hohenzollern und seine hohe Aufgabe zu vertreten, als der Verfasser gethan hat. Sehr bereitwillig sei ihm hier die Freude darüber ausgesprochen.

Der Roman steht in einer lockeren Verbindung zu einem frühern des Dichters, „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht", den er der Zeit nach fortführt. Dieselben politischen Verhältnisse bilden den Hintergrund und einige Personen sind beiden gemeinsam. Eine Continuität, zwar nicht der Begebenheit, aber der Gesinnung und Tendenz ist in allen märkischen Romanen von W. Alexis zu erkennen, und „der Roland von Berlin", „der falsche Waldemar", „die Hosen des Herrn von Bredow" und „der Werwolf" bilden zusammen ein großes geschichtliches Gemälde der älteren Zeit, welchem „Cabanis" und der oben genannte als Schilderungen des letzten Jahrhunderts gegenüberstehen. Der Kunstwerth dieser Romane ist verschieden, aber derselbe kräftige patriotische Sinn, ein gesunder märkischer Stolz auf den Staat der Hohenzollern geht durch alle. In allen finden sich gemeinsame Vorzüge, die bekannten Virtuositäten des Verfassers, eine wirksame, oft vortreffliche Schilderung der märkischen Landschaft und der menschlichen Eigenthümlichkeit, welche ihr entspricht. Die Oede der sandigen Heide, die heiße Luft des Kieferwaldes am schwülen Sommertag, der Landsee im Gebüsch versteckt, die weite Ebene, das Torfmoor, Himmel und Hügel, Luft und Wasser sind in der Regel mit großer poetischer Kraft dargestellt und ihre Beschreibung glücklich benutzt, Stimmungen hervorzubringen. Auch die Menschen, welche in dieser Landschaft hausen, ein zähes, tüchtiges, dauerhaftes Geschlecht, mit ihren Wunderlichkeiten und Verirrungen, der tüchtigen Kraft und Energie sind mit Meisterschaft gezeichnet, so oft sie als Staffage bei Ausmalung charakteristischer Zeit und Landschaftsbilder auftreten.

Auch in dem neuen Romane sind einzelne solche Schilderungen von nicht gewöhnlicher Kraft und Wirkung: Das weite Moor, das Dorf Querbelitz und seine Bewohner, das Treiben des märkischen Landadels, die Kleinbürger von Nauen, die Stellung der Einwohner zur feindlichen Einquartierung daselbst, die Gegensätze in Art und Benehmen der einzelnen Stände, eine Anzahl origineller und charakteristischer Nebenfiguren. Der Roman beginnt mitten im unglücklichen Kriege von 1806, behandelt die verhängnißvolle Zeit des Jahres 1807 ausführlich, die späteren Stimmungen und Ereignisse bruchstückweise. Die Hauptperson ist ein märkischer Rittergutsbesitzer von Adel, reichlich begabt mit den Vorurtheilen seines Standes und seiner Zeit, mit ungewöhnlich starken Leidenschaften, aber auch ungewöhnlicher Kraft und Energie des Willens, ein Tyrann seiner Familie und Umgebung, dabei ein braver, ehrenwerther Mann und ein treuer Patriot. Er hat drei Töchter von verschiedenen Anlagen, denen er selbst eine sehr verschiedene Zukunft prophezeit. Diese Prophezeiungen werden durch ein ironisches Schicksal vernichtet. Die elegante, anspruchsvolle Tochter hat das Unglück, mit einem französischen Abenteurer, der Namen und Wappen einer alten legitimistischen Familie angenommen hat, in ein Verhältniß zu gerathen und dem Vater verloren zu gehen, sie wird zuletzt Gemahlin eines Pairs von Frankreich und verfällt einem schwächlichen, süßlichen Legitimismus, wird fromm u. s. w., dem Vater ist sie als Gefallene, als Weib eines Feindes und eines Betrügers tot. Die andere, sparsam, wirthschaftlich, gleichgiltig gegen den adligen Stolz des Vaters, wird die Frau eines Herrn vom hohen Adel, eines mediatisirten Reichsgrafen, und die dritte, der Liebling des Gutsherrn, von tiefem Gemüth und edler Festigkeit, welche nach dem Willen des Vaters die aristokratische Partie übernehmen sollte, heiratet nach langem Harren den Candidaten der Familie, den späteren Pastor des Dorfes. Zwei Söhne, nicht bedeutend, folgen den Strömungen der Zeit. Wenn aber auch die Begebenheiten in der Familie des Freiherrn, die Kämpfe des strengen Vaters mit den Neigungen seiner Kinder, einen großen Theil des Romanes füllen, so kann man doch nicht sagen, daß die Darstellung derselben die Hauptaufgabe des Werkes war.

Den Dichter lockten vielmehr die Zustände im verhängnißvollen Kriegsjahre und der nächstfolgenden Zeit, die Rathlosigkeit, Zerfahrenheit und Anarchie in den regierenden Kreisen und daneben die tüchtige Kraft der Einzelnen, welche die Wiedergeburt des Staates möglich machten, also ein Gebiet von fast unendlicher Ausdehnung mit Perspectiven nach allen Seiten hin. Es ist offenbar, daß eine solche Darstellung die Abrundung eines einheitlichen Kunstwerkes nicht leicht erhalten kann. Auch beabsichtigt der Dichter selbst durchaus nicht eine epische Geschlossenheit der Erzählung, wie sie bis jetzt als unumgängliches Erforderniß eines Kunstwerkes galt, ja es wird ihm wenig darauf ankommen, ob man seinen Roman ein Kunstwerk in dem alten Sinne nenne; der patriotische, also didaktische Zweck steht ihm am höchsten, es war ihm ein lebhaftes Bedürfniß, durch eine Reihe von Persönlichkeiten die kämpfenden Ansichten und Stimmungen jener Zeit zu veranschaulichen, bei denen oft die Anwendung auf die Parteiungen der Gegenwart nahe gelegt ist. Er fordert für diese Art des Schaffens, für eine bis in die Einzelheiten genaue Darstellung wirklicher politischer Verhältnisse in poetischer Verkleidung, von seinem Leser Berechtigung. Das ungefähr ist der Sinn dessen, was der Verfasser in dem Roman selbst für feine Darstellung anführt.

Jede Abweichung von dem bisherigen Brauch der Composition in historischen Romanen soll dem Verfasser gestattet sein, wenn es ihm gelingt, für die Nichtbeobachtung alter Kunstgesetze durch Erreichung neuer, größerer, kunstgemäßer Wirkungen zu entschädigen. Ja, wenn er bei seiner Methode der Darstellung nur durchsetzt, uns ein durchweg fesselndes, bis zum Ende interessantes Buch zu schreiben, so wollen wir ihm seiner patriotischen Gesinnung wegen zustimmen und ihm helfen, der alten pedantischen Theorie einen Scheiterhaufen zu errichten.

Allein das hat er nicht erreicht, und wir sind in der Lage, die Compositionsgesetze des historischen Romans, wie sie namentlich durch Walter Scott in einzelnen Fällen so bedeutend angewandt worden sind, gegen den Dichter selbst vertreten zu müssen. Nicht weil diese Gesetze herkömmlich, nicht weil sie durch ein ästhetisches System geheiligt sind, sondern nur deswegen, weil sie nothwendig sind, dem behandelten Stoff bei dem Leser Wirkung zu sichern, d. h. den Roman als Ganzes dem gebildeten Urtheil gefallen zu machen. Bei einer Anzahl dieser Compositionsgesetze ist ihre ewige Notwendigkeit nicht schwer einzusehen, wir verweilen hier nur bei den wichtigsten.

Zunächst sei an allgemein Bekanntes erinnert. Wir fordern vom Roman, daß er eine Begebenheit erzähle, welche, in allen ihren Theilen verständlich, durch den innern Zusammenhang ihrer Theile als eine abgeschlossene Einheit erscheint. Diese innere Einheit, der Zusammenhang der Begebenheit in dem Roman muß sich entwickeln aus den dargestellten Persönlichkeiten und dem logischen Zwange der zu Grunde liegenden Verhältnisse.

Dadurch entsteht dem Leser das behagliche Gefühl der Sicherheit und Freiheit, er wird in eine kleine freie Welt versetzt, in welcher er den vernünftigen Zusammenhang der Ereignisse vollständig übersieht, in welchem sein Gefühl für Recht und Unrecht nicht verletzt, er zum Vertrauten starker, idealer Empfindungen gemacht wird. Wenn nun aber dieser innere Zusammenhang dadurch gestört wird, daß der ganze ungeheure Verlauf des wirklichen Lebens, die ungelösten Gegensätze, die Spiele des Zufalls, welche die Einzelheiten der wirklichen Ereignisse und der Geschichte bei kurz abgerissener Behandlung darbieten, mit hereingetragen werden in den Bau des Romans, so geht dadurch dem Leser das Gefühl des Vernünftigen und Zweckmäßigen bei den Begebenheiten in peinlicher Weise verloren. Dies Bedürfniß einer künstlerischen Composition, einer einheitlichen, abgeschlossenen Handlung tritt bei jedem Stoffe ein, welcher in romanhafter Weife erzählt wird. Bei jedem, wo ein Hintergrund kunstvoll dargestellt ist, wo Ton und Methode der Erzählung Neigung zu freiem Schaffen verrathen, wo Ersindung in Einzelzügen, in Perspective der Haupt- und Nebensachen sichtbar wird, kurz überall, wo auch nur ein Theil der Erzählung die Gesetze, den Zwang und die Privilegien künstlerischer Darstellung zeigt.

In dem neuen Roman von W. Alexis ist der größte Theil ganz nach den Gesetzen des Romans eingerichtet. Die Anlage des frei erfundenen Theiles der Begebenheit ist einfach und kunstmäßig. Durch eine ausführliche Einleiwng, welche den Hintergrund, charakteristische Momente, Landschaft und Stimmungen darlegt und das Detail einiger Nebenfiguren in epischer Weise charakterisirt, werden wir in das Leben einer Familie eingeführt, in welcher das Schicksal der Töchter durch ihre Charaktere und vor allem durch die Persönlichkeit ihres Vaters bestimmt wird. Es sind einfache Verhältnisse, kein Ueberfluß an Personen, eine Begebenheit, welche vollständig geeignet ist. sich in ihrem Verlauf mit logischer Notwendigkeit, übersichtlich und interessant abzurunden. Daß die Kämpfe und Leidenschaften einer bestimmten Zeit sich in dem Schicksale der Familie abspiegeln, wäre ebenfalls in der Ordnung.

Der Verfasser aber kommt im Verlauf des Romans dazu, die politischen Ereignisse als die Hauptsache zu behandeln und durch die Personen seines Romans, welche zum Theil erfunden, zum Theil geschichtlich sind, in Unterhaltungen auseinander zu setzen. Dadurch wird die freie epische Erfindung unterbrochen und in den Hintergrund gedrängt, sie verliert sich zuletzt fast ganz in Darstellung der geschichtlichen Begebenheiten und in Ausmalung der Aufregungen, in welche die Helden des Romans durch das Unglück des Vaterlandes versetzt werden. So kommt es, daß um das Ende des letzten Bandes die von dem Dichter erfundene Begebenheit noch durchaus nicht zum Ende geführt ist, im Gegentheil recht mitten in einer Krisis hängen bleibt. Der Dichter war genöthigt, um doch irgend einen Schluß zu sinden, den weitern Verlauf in kurzen Strichen anzudeuten. Da aber nach der Anlage gerade der Kampf und die innere Versöhnung der entgegengesetzten Charaktere in die Zeit fallen mußten, welche in der Erzählung ganz übergangen ist, so reicht dieser Schluß durchaus nicht aus, den Leser zufrieden zu stellen. Dagegen wird der Leser große Theile der Erzählung ohne Verlust entbehren. Die Zusammenkünfte der Patrioten auf dem Schlosse des Edelmanns, der Abgesandte des Tugendbundes, der Reichsgraf, der begeisterte Bonapartist und vollends der Freiherr von Stein, wirkliche Persönlichkeiten, welche zum Theil dem Roman zu Liebe eine leichte Verhüllung über ihre historische Uniform geworfen haben, erscheinen uns unnütz. Was Stein bei seinen wiederholten Besuchen auf dem Schlosse von Jlitz für Ansichten über die damalige Lage Preußens geäußert hat, wäre seinem Biographen und uns nur dann interessant, wenn er diese Aeußerungen daselbst wirklich gethan hätte, und wenn wir in der Stimmung wären, dies dem Verfasser zu glauben. Wo geschichtliche Charaktere, wie z. B. Friedrich der Große in „Cabanis" oder Cromwell in „Woodstock" auftreten, wollen sie entweder als leichte Arabeske gehalten sein und nur dazu dienen, den Hintergrund zu schmücken, oder sie müssen zwcckvoll und ihrem geschichtlichen Wesen entsprechend in den Gang des Romans eingreifen und als ein durchaus nothwendiger Theil der Begebenheiten erscheinen. Beide Stellungen erscheinen uns nicht passend für solche geschichtliche Persönlichkeiten, welche entweder noch am Leben sind, oder unserer Zeit so nahe stehn, daß es uns noch nicht möglich ist, ihr Wesen in dem gebrochenen künstlichen Licht zu vertragen, welches der Geist des ersindenden Dichters auf alle feine Gestalten mit sicherer Macht vertheilt. Unter allen Umständen aber möchte ein Auftreten geschichtlicher Größen, welches ihnen nur erlaubt, sich über ihre politischen Ansichten auszusprechen, im Jnteresse des Lesers zu vermeiden sein.

Auch die Charakterzeichnung des Romans hat Störungen durch die mangelhafte Composition erlitten. Alle Charaktere eines Romans haben bekanntlich die Eigentümlichkeit, daß sie fortwährend und mit strenger Folgerichtigkeit geschildert werden in ihrer Beziehung auf die Begebenheit, deren Theilnehmer sie sind. Sie sind für den Zweck des Romans allein vorhanden, nur diejenigen Aeußerungen menschlicher Jndividualitat, welche mittelbar oder unmittelbar dazu dienen, die bestimmte Handlung fortzuführen oder nach irgend einer Seite verständlich zu machen, dürfen in dem Roman in de n Vordergrund treten. Die Charaktere müssen deshalb von einfacher verständlicher Anlage fein, in ihrem Handeln stets charakteristisch und zweckvoll, ihre Interessen müssen ganz zusammenfallen mit den Interessen des Romans. Widersprüche in ihrem Wesen, Lebensäußerungen, welche sich aus der geschilderten Anlage nicht erklären lassen, dürfen, obgleich sie sich bei den Charakteren des wirklichen Lebens in großer Anzahl vorfinden, in dem Roman nur dann dargestellt werden, wenn sie für die künstlerischen Zwecke desselben nothwendig sind. In diesem Fall wird freilich die Schilderung solcher inneren Gegensätze einer Persönlichkeit oft gerade das Schönste und Reizendste, was die Kunst zu bilden vermag. Nur durch diese zweckvolle und planmäßige Charakteristik entsteht in den Personen eines Kunstwerks der schöne Schein innerer Wahrheit. Diese Wahrheit müssen wir lebhaft empfinden, um an die Pcrsonen glauben und uns für dieselben interessiren zu können, und wir werden die Größe des Dichters im Charakterisiren darnach schätzen, ob es ihm gelingt, die originelle Besonderheit des Individuums durch wenige Striche allgemein verständlich und interessant zu machen, und ob er im Stande ist. die bestimmte Originalität in lebhafter Steigerung trotz der Veränderungen, welche der Verlauf der Begebenheiten in derselben hervorbringt, als eine einheitliche erscheinen zu lassen. Wilibald Alexis ist bei seinen Hauptfiguren darin nicht durchweg glücklich gewesen. Er war auch früher zuweilen in Gefahr, der Situation, einem Einfall zu Liebe, die innere Harmonie seiner Charaktere zu stören, vorzüglich dadurch, daß er einen Trieb hatte, dieselben in jedem Moment so geistreich und bedeutend als irgend möglich sich aussprechen zu lassen. Zu diesen Uebelständen, welche bei dem vortrefflichen Dichter aus Einflüssen der Schlegel-Tieck'schen Schule zu erklären sind, kommt noch ein anderer ebenfalls für jene Schule bezeichnender, daß der logische Verlauf der Charakterzeichnung bei ihm zuweilen unterbrochen wird durch ein seltsames mystisches Moment, eine raffinirte Spitzfindigkeit, eine somnambule Handlung oder einen andern romantischen Einfall, welcher gerade ihm bei der realistischen und breiten Anlage feiner Charaktere gar nicht gut steht. So hat er im „falschen Waldemar" der Selbsttäuschung des Betrügers einen mystischen Anstrich und eine innere Berechtigung gegeben, welche den schönen Roman fast verdirbt, den Leser geradezu unheimlich berührt. So läßt er im vorliegenden Roman die gesunde Lieblingstochter des Hausherrn bei einem erschütternden Ereigniß plötzlich in eine Art von magnetischem Halbschlaf verfallen, in dem sie ihre Liebe zu dem Candidaten verrathen muß. Dieser Uebelstand hat sich in den letzten Romanen vergrößert, die Personen scheinen mehr dazu da, verschiedene politische und sociale Ansichten in gewählten Worten auszudrücken, als sich consequent in ihrem Thun und im Verlauf der Begebenheiten zu erweisen. Fast jede seiner Hauptfiguren zeigt Unklarheiten in ihrem Handeln und begeht Dinge, die nach den gegebenen Voraussetzungen ihrer Persönlichkeit nicht wahrscheinlich sind. Herr von Quarbitz z. B. soll der Repräsentant jener tüchtigen, charakterhaften Classe von alten märkischen Gutsherren sein, welche jetzt von dem Dichter wohl mit Recht für ausgestorben gehalten wird, trotzig in seinen Standesvorurtheilen und dabei von sehr warmem Gefühl, wahrhaft edel und vornehm in großen Dingen, ein wunderlicher Kauz in den kleinen Stimmungen des Tages. Ist es möglich, daß ein solcher Mann das Liebste, was er außer seinem Vaterlande hat, seine Familie, die Seelen seiner Töchter, einem fremden Candidaten, der den Tag vorher ins Haus gekommen ist, in solcher Weise empfehlen kann, wie er Band 1 Seite 81 thut; einem jungen Mann, dem er bis dahin eine empörende Kälte und Nichtachtung gezeigt hat? Und ist es möglich, eine Persönlichkeit wie die seine als einen Romancharakter zu verstehen, wenn als Beweggründe seines Handelns fortwährend zufällige Stimmungen, Launen und Vorurtheile auftreten? Er erscheint uns allerdings als eine wunderliche Mischung entgegengesetzter Eigenschaften: staatsmännische Weisheit und großer Blick neben grillenhafter Beschränktheit, aber diese Verbindung ist nicht aus innerer Notwendigkeit hervorgegangen, ist deshalb nicht verständlich und ist zuletzt nicht viel mehr als ein Aggregat von Einfällen des Dichters. Noch weniger gelungen ist der Candidat Mauritz, frommer Theologe, dann Mitglied des Tugendbundes, Liebhaber der Tochter des Edelmanns, bald sein Vertrauter, bald schnöde von ihm behandelt, eine Figur ohne kräftiges, inneres Leben. Wie ist es möglich, daß er, der doch ein feinfühlender braver Mann sein soll, das Liebesverhältniß mit der Tochter in solcher Weise beginnt und fortsetzt? Wie ist es möglich, daß er, nachdem der Vater ihn nach Entdeckung desselben tötlich beleidigt hat, noch lange Jahre in der Familie bleibt, und wie ist es möglich, daß der Vater selbst ihn darin duldet? Mißlungen ist auch die Zeichnung des jüngern märkischen Gutsbesitzers, welcher von jüdischem Herkommen und geadelt, um die wirthschaftliche Tochter des Hauses ohne Erfolg freit, auch ihm sind verschiedene Eigenschaften wie gelegentlich zugewiesen, welche sich schwer in dem Charakter einer Romanfigur vereinigen lassen. Er ist industrieller Landwirth mit plebejen merkantilischen Neigungen im Gegensatz zu dem aristokratischen Hausherrn, und wieder einmal betrunkener tobsüchtiger Jäger, welcher in Rausch und Wuth den Geliebten einer andern Tochter aus dem Busch niederschießt, und wieder ein feuriger und tapferer Freiwilliger in den Befreiungskriegen, der durch den rauhen Stolz des alten Edelmanns zuletzt bewogen wird, sich mit Selbstgefühl von der Tochter desselben zurückzuziehen; am Ende heiratet er eine geniale, etwas überschwengliche Patriotin von hohem Adel. Der Leser weiß auch aus dieser Figur nichts zu machen, weil der Dichter selbst den Charakter und seine Consequeuzen nicht deutlich genug empfunden hat. Eine große Anzahl von Unwahrscheinlichkeiten kommt daher, daß der Dichter nicht Raum gehabt hat, die für Fortführung der Handlung notwendigen charakteristischen Züge anzubringen, denn in den stattlichen drei Bänden nehmen, wie erwähnt, die Unterhaltungen über den Weltlauf einen unbilligen Theil der Zeilen in Anspruch. Daher geschieht es wohl auch, daß zuweilen das Ungeheuerste in und mit der Familie gethan und nur mit wenig Worten abgefertigt wird, z. B. als die Franzosen den Neffen des Hauses vor den Fenstern erschießen. — Gut gezeichnet sind, außer einer Anzahl Nebensiguren, der Vetter von Quilitz, die Hausfrau, die verständige Tochter, alle die Gestalten, welche der Verfasser mit wenig Strichen gezeichnet hat.

Häufig war die Anlage seiner Charaktere schöner, gesünder und stärker, als die Ausführung. Denn da, wo der Verfasser bis ins Einzelne fein ausführen soll, sind ihm romantische, abenteuerliche Situationen, scharfe Gegensätze und andere Reizmittel der Phantasie Hilfsmittel, um mit der Lebhaftigkeit und dem Detail zu empfinden, welche für anschauliche Darstellung nöthig sind. Er ist daher oft geneigt, seine Helden in die wunderlichsten Situationen zu versetzen und man kann daher auch bei seinen scharf gezeichneten Charakteren, bei seinen schönsten Strichen die leise Furcht nicht loswerden, es könne dem Dichter plötzlich einfallen, seine Figuren auf den Kopf zu stellen. Aehnliches thut z. B. der französische Oberst, der frühere Kunstreiter, sehr unerwartet im Walde bei Nauen.

So können wir dem Dichter die Berechtigung nicht einräumen, welche er für ein Werk, das mit Hilfe freier Erfindung eine große Zeit charakterisiren soll, in Anspruch nimmt. Seine Erzählung ist unvollständig, seine Charaktere sind weniger ausgeführt, zum Theil schattenhaft gehalten, die künstlerische Ersindung hat sichtlich darunter gelitten, weil seinem patriotischen Herzen wünschenswerth erschien, die Politik der preußischen Parteien und ihre Gegensätze zur Hauptsache der Darstellung zu machen. Da nun aber auch die Schilderung der politischen Kämpfe und Stimmungen ihrerseits unvollständig und vielfach durch das romanhafte Element beschränkt und abgeändert erscheint, so möchte auch dieser Theil seines Plans nicht so glücklich ausgeführt sein, als wir, politische Freunde des Verfassers und Bewunderer seines Talents, wünschen. Es wäre eine große Aufgabe, preußischen Sinn darzustellen, wie sich dieser in den Einzelnen seit Friedrich dem Großen entwickelt hat, wie er von schwacher und irregeleiteter Regierung durch viele Jahre nicht verstanden und falsch behandelt wurde, wie er endlich in den Freiheitskriegen mit unwiderstehlicher Kraft fast über das Wollen der Regierung durchbrach und den Staat wiederherstellte, um nach dieser großen Action von neuem beargwöhnt, eingeengt und mißverstanden zu werden. Aber die Form des Romans oder einer andern freien künstlerischen Composition ist für einen solchen Stoff nicht geeignet, denn die erste Voraussetzung für eine gedeihliche Behandlung desselben ist nicht künstlerische Wahrheit, sondern historische Wahrhaftigkeit. Sehr ist es zu bedauern, daß Preußen noch keinen Historiker gefunden hat, der es verstanden hätte, in solcher Weise unparteiisch und mit großem Sinn einen langen und imponirenden geschichtlichen Verlauf volksthümlich zu machen.

Was unterdeß W. Alexis versucht hat, das konnte der Künstlerhand nur unvollständig gelingen. Von der Kritik mußte um so mehr auf das Ungenügende und Bedenkliche solcher Darstellung hingewiesen werden, da nicht im Roman allein, sondern fast in allen andern Künsten, in der Malerei wie in der Musik, das Bestreben sichtbar wird, die Grenze zu überschreiten, welche den einzelnen Künsten durch die Unsterblichen gesteckt wird. Wenn wir aber unserer Pflicht gemäß den Standpunkt der Kunst gegen den Dichter selbst zu vertreten suchten, so wollen wir zum Schluß auch nicht verbergen, daß wir wünschen und hoffen, sein Werk werde doch Viele sinden, welche den treuen Sinn, mit welchem dasselbe unternommen wurde, zu ehren wissen.

 

Julian Schmidt: Geschichte der deutschen Literatur seit Lessing's Tod. Vierte, durchweg umgearbeitete und vermehrte Auflage. Dritter Band. Leipzig: Herbig 1858, S. 203-210.

 

Der historische Roman hat trotz aller Bedenken gegen die Kunstform seine Berechtigung: für das Festhalten einer großen Vergangenheit ist es wichtig, sie in der Totalität aller Lebensbeziehungen zu schildern ; eine Ausgabe, die durch die Geschichtschreibung in einer künstlerischen Form nicht gelöst werden kann. Der Roman erfüllt sie nur dann, wenn er vaterländische Stoffe wählt. Für die Deutschen müßte die Ausgabe lockender sein als für irgendein andres Volk; denn wir haben zwar ein lebhaftes Nationalbewußtsein, aber unsre historischen Traditionen sind gering. Das liegt in der Zersplitterung unsrer Geschichte in kleine Kreise, die doch wieder nicht abgeschlossen genug waren, um in sich selbst die Tradition lebendig zu erhalten Mit Ausnahme von wenig großen Persönlichkeiten stehn uns die Ausländer fast näher, als unsre eignen Erinnerungen. Um ein bis ins Einzelne belebtes und verständliches Gemälde zu geben, muß der Dichter die Provinzialgeschichte zu Grunde legen. Bei uns hat fast jeder Landstrich eine Zeit, wo er mit der allgemeinen Geschichte in Berührung kam und den Inhalt seines individuellen Geistes der Nation übertrug. Im Mittelalter ist zwar viel allgemein historisches Interesse, aber es fehlt die individuelle Färbung. Im 14. und 15. Jahrhundert haben wir Färbung und Material für die Detailzeichnung im Ueberfluß, aber keine Mittel, die Geschichte zu concentriren. Die Reformation ist eine der günstigsten Perioden, denn in ihr wurden alle Theile unsres Vaterlands ausgerüttelt und in Bewegung gesetzt, und sie bietet, wenn nicht einen localen, doch einen geistigen Mittelpunkt. Aus dem dreißigjährigen Kriege, den französischen Raubkriegen, dem siebenjährigen und dem Befreiungskriege schlummert noch eine Fülle von Erinnerungen im Volke, die durch ein lebendiges Gemälde wieder erweckt werden kann.

Wir haben treffliche Vorarbeiten; der Stoff ist durch Gelehrte und Ungelehrte in Märchen, Hagen, Liedern und Gedichten, Kupferstichen und Holzschnitten so reichlich ausgespeichert, daß es an Hülfsmitteln, ein beliebiges Zeitalter bis zur lebendigen Anschaulichkeit zu detailliren, nicht mangelt. Auch an Talenten sehlt es nicht. Wie vielversprechend ist z. B. die historische Färbung im „Götz". „Michael Kohlhaas", den „Kronenwächtern" u. s. w. Aber es hat uns nicht gelingen wollen, in einem größern Werk irgendeine Periode der deutschen Geschichte künstlerisch wiederzugeben. Das Glück, welches die Tromlitz und van der Velde eine Zeit lang bei der Lesewelt gemacht, ist begreiflich: sie sind im Stande, eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen; man bewegt sich vorwärts und bleibt in einer gewissen Spannung. Die Seltenheit dieses Talents ist auch ein Symptom von der mangelnden Disciplin in unsrer Bildung, die uns in der Poesie wie in der Politik so unendlich zurückgebracht hat. Ein fernerer Grund ist die zuerst durch die Romantiker, dann durch die Jungdeutschen hervorgerufene und gepflegte Neigung, sich in Empfindungen zu bewegen, die der Natur widersprechen. Wenn man die energischen Charaktere der frühern Zeit auf gleiche Weise subtilisirt, wie die schönen Seelen unsrer Salons, so geht daraus die vollendete Unnatur hervor. Unsre Geschichtsphilosophie ist so gebildet, daß wir über die Absichten, welche der Weltgeist mit seinen Lieblingen gehabt, besser unterrichtet sind als diese selbst: aber zu bescheiden, das Bewußtsein dieser Ueberlegenheit zu tragen, leihen wir unser Bewußtsein jenen Helden und stellen sie dadurch aus einen Kothurn, der es ihnen unmöglich macht, sich srei und nach den Gesetzen der Natur zu bewegen. — Der erste nennenswerthe Dichter ist Wilhelm Hauff, geb. zu Stuttgart 1802, gest. 1827, ein leichtes, anmuthiges Talent, dessen Märchen und Novellen das Bild des Kaisers u. s. w. die Schule Hoffmann's verrathen, aber durch bestimmte Auffassung der wirklichen Zustände und durch Correctheit der Erzählung darüber hinausgehn, Seine Memoiren des Satan und die Phantasien im Bremer Rathskeller sind romantische Capriccios, seine Satire gegen Clauren, damals den beliebtesten unter den deutschen Novellisten (der Mann im Monde 1826), zeigt mehr richtiges Urtheil als Talent. Der historische Roman Lichtenstein (1826) schließt sich durch seine Form an W. Scott, durch seine Sympathien an Uhland und die übrigen Schwaben an. Es ist ein mit patriotischer Warme und gesunder Einsicht angeschautes Stück deutscher Geschichte mit einer scharf ausgesprochenen provinziellen Farbe. Daß die Charakterbilder wenig hervortreten, liegt zum Theil darin, daß seine Neigungen mit seinem Urtheil nicht ganz zusammenfallen. Im lyrischen Gedicht sieht der Feudalismus mit seinen Burgen, seinen ritterlichen Sitten und seinen gemüthlichen Formen artig genug aus; in der ausführlichen Darstellung verliert sich dieser Reiz. Der Dichter hat Unbefangenheit genug, einzusehn, daß sein Held, der wilde Ulrich von Würtemberg, die Hingebung seiner Vasallen nicht verdient, und er ist so ehrlich, seine Ueberzeugung durchblicken zu lassen; allein er hat seine Figuren zu Anfang nach einem andern Maßstab zugeschnitten, und dadurch verlieren sie ihren Halt. Am meisten verfehlt ist der Maschinist des Stücks, der Bauer, der mit einer gewissen Monomanie, sich für seinen Herzog aufzuopfern, behaftet ist. Die wirklichen Bauern jener Zeit waren knorrigere Gestalten. — Ungleich bedeutender und an Talent wie an Bildung überhaupt allen übrigen deutschen Dichtern dieser Gattung überlegen ist Wilhelm Häring (Wilibald Alexis, geb. 1798 zu Breslau). Aus seine Jugendbildung hatte die romantische Schule einen durchgreifenden Einfluß, namentlich Hoffmann. Seine Novellen enthalten phantastische, oft fratzenhafte Gestalten und unheimliche Situationen, vermischt mit langen Gesprächen über Kunst und Literatur, ohne innere Nothwendigkeit durch Laune und Willkür eingegeben. W. Scott stand damals aus dem Gipfel seines Ruhms, und die „gebildeten" deutschen Dichter, die ihn als Naturalisten verachteten, sahen mit geheimem Neid aus seinen Erfolg, Im Walladmor (182Z) versuchte Wilibald Alexis eine Satire gegen ihn, welche deutlich zeigt, wie in ihm selbst die falsche Doctrin mit dem angebornen Talent im Streit lag. Zuerst hat das Buch eine ironische Färbung, die Weise W. Scott's wird ins Fratzenhaste übertrieben, und es fehlt nickt an bittern Bemerkungen. Dann aber lebt sich der Dichter mehr und mehr in seine eignen Erfindungen hinein, seine Virtuositat entfaltet sich in einzelnen Schilderungen, und aus der Satire wird ernsthaste Nachahmung. In Schloß Avalon (1827) sucht die Nachahmung sich nicht mehr zu verstecken. Die Einzelheiten sind zum Theil vortrefflich, aber die Grundidee der Situation ist ungesund. W. Scott wendet in seinem Costüm, in seiner Färbung mit einer Kühnheit, die vor nichts erschrickt, phantastische und excentrische Formen an; aber der innere Kern seiner Charaktere ist ehrlich empfunden und festgehalten, während der Held dieses Romans den Mittelpunkt seiner Seele verloren hat. Wenn man die völlige Umkehr im Charakter eines Helden eintreten lassen will, so muß man ausführlich darauf eingehn, schon um die Haltbarkeit seiner eignen Einfälle zu prüfen. Läßt man die Umwandlung im Verborgenen vor sich gehn, so verwandelt man den dramatischen Verlauf in ein possenhaftes Maskenspiel. Ein späterer Roman Urban Grandier (1843) gehört in dieselbe Richtung.

W. Alexis leistete bei seiner weichen Empfänglichkeit und seiner vielfeitigen Bildung den Strömungen der Zeit nicht immer den gehörigen Widerstand. Nach seiner romantischen Periode folgt eine jungdeutsche, die sich in den Romanen: das Haus Düsterweg (1835) und: Zwölf Nächte (l838) ausspricht. Der Eindruck beider Werke ist um so unangenehmer, da man empfindet, daß die Manier ungekünstelt ist. Die Reihe seiner vaterländischen Romane beginnt mit Cabanis (1832). Der erste Band, der die Schilderungen des berliner Schullebens aus dem Ansang des vorigen Jahrhunderts und die Sitten der französischen Colonie schildert, erregte allgemeinen Jubel, und mit Recht. Es war ein lebensvolles Gemälde, warm empfunden und mit außerordentlichem Talent ausgeführt. Auch in den folgenden Bänden waren einzelne Schilderungen, namentlich vom preußischen Soldatenleben, vortrefflich; aber das Ganze mußte man als Mosaikarbeit empfinden. Die glänzenden Stellen waren mit Liebe und Sorgfalt ausgearbeitet , aber durch einen losen Faden miteinander verbunden, ohne organischen Zusammenhang. Die Fabel war auf den verrückten Einfall eines Sonderlings begründet, der weder ein allgemein menschliches Interesse noch eine Berechtigung als historisches Charakterbild in Anspruch nehmen durste; und mit den übrigen Personen gingen in den Zwischenzeiten, welche die Erzählung übersprang, so ungeheure Veränderungen vor, daß man sie nicht wiedererkannte. Obgleich W. Alexis in den spätern Werken die Technik immer sicherer beherrschte, läßt sich doch die Aehnlichkeit nicht verkennen. Bei der schärfsten Beobachtung der Wirklichkeit und dem kräftigsten Gefühl sind sie doch nicht von innen heraus organisch geschaffen, sondern äußerlich zusammengesetzt. W. Alexis geht nicht von der Natur seiner Personen, nicht einmal von der Handlung aus, sondern es gehn ihm zuerst die äußerlichen Situationen, die Landschaften, Sitten, Zustände u. s. w. im Detail auf, und aus ihnen wachsen dann die Figuren, beinahe wie Arabesken. Gleich W. Scott gibt er seinen Zuständen zunächst dadurch einen Boden, daß er die Localität mit scharf sinnlichem und historischem Auge ansieht und von allen Seiten beleuchtet. Er sucht sich einen festen Mittelpunkt und führt uns auf verschiedenen Wegen unter wechselnden Stimmungen und Lichtern in denselben ein. Die Oede der sandigen Haide, die heiße Luft des Kieferwaldes am schwülen Sommertag, der märkische Landsee im Gebüsch versteckt, die weite Ebene, das Torfmoor, Himmel und Hügel, Luft und Wasser sind mit wunderbarer Farbe belebt und sehr glücklich dazu benutzt, Stimmungen hervorzubringen. Auch die Menschen, welche in dieser Landschaft hausen, ein zähes, tüchtiges, dauerhaftes Geschlecht, mit ihren Wunderlichkeiten und Verirrungen, tüchtigem Willen und Energie sind mit Virtuosität gezeichnet, so oft sie als Staffage bei Ausmalung charakteristischer Zeit- und Landschaftsbilder auftreten. Die rauhe Kraft der Menschen auf diesem Grunde, die hochmüthigen Städter, die Raubritter, die Buschklepper, und was alles von Figuren und menschlicher Thätigkeit zu der märkischen Landschaft paßt, das tritt aus diesen Landschaften imponirend hervor; wir sehn den Wolf über das Wintereis der Havel schleichen und hören die Krähen über den Kieferbusch schreien, der die Stelle einer schwarzen Unthat bezeichnet. Es ist ein grauer, trüber Himmel, der Ton und Luft in diesen Gemälden bestimmt; trotz seiner Monotonie von außerordentlicher Wirkung. Zuweilen beeinträchtigt die Virtuosität in der Färbung die Wahrheit der Charaktere. Der Dichter schildert die Menschen innerhalb dieser Staffage ebenso durch sie ergriffen und bestimmt, wie es einem gebildeten Menschen unsrer Zeit geschehen würde. Dadurch erhält die Situation eine große Lebhaftigkeit, aber auf Kosten der Charakteristik. W. Alexis ist über das, was er will, nicht so völlig Meister, um sich ohne Gefahr in die Arabesken der Situationsmalerei zu verlieren. Er empfindet fein, aber nicht so schlicht und einfach, wie es der Dichter muß, um von den Naturbedingungen unabhängig zu sein. Es ist ein beständiger Kampf zwischen jener falschen, auflösenden Bildung, welche nichts Einfaches und Gesundes versteht und durch Raffinement ihre eigne Leere zu ersetzen sucht, und der Sehnsucht eines tüchtigen Mannes nach derber concreter Wirklichkeit, nach That und Charakter, nach Ehrlichkeit und sicherer Willenskraft. Das Letztere ist bei ihm so stark, daß er die Wirklichkeit in der That ergreift; aber er versteht nicht, sie festzuhalten, es breitet sich plötzlich ein Nebel über seine in kräftigen Tönen ausgeführte Landschaft, Hoffmann'sche Spukgestalten treten daraus hervor, die verständig angelegten Helden verschwimmen in sentimentale Metaphysik, die Begebenheiten gehen sprunghaft weiter, und zuletzt vergißt der Dichter, was er ursprünglich gewollt. Selbst die Sprache verliert ihre historische Färbung. Manche Misgriffe der entgegengesetzten Art, z, B. die Neigung, dem Anekdotischen einen zu großen Spielraum zu geben, sind aus derselben Sucht zu erklären. Die Idee, ein paar Hosen zum Mittelpunkt eines ernsthaften historischen Romans zu machen, immer wieder darauf zurückzukommen und sie zuletzt sogar zum Symbol einer höhern Idee zu verwerthen, ist nichts weiter, als jene Paradoxenjägerei, die auf das Absurde verfällt, um sich vom Gewöhnlichen zu unterscheiden. — Der erste unter den historischen Romanen, welche die allmähliche Enrwickelung des preußischen Staats schildern, war der Roland von Berlin (1840). In unsrer Zeit, wo die bürgerliche Bildung sich mit Bewußtsein der adeligen entgegensetzt, fühlt der Dichter sich leicht getrieben, die historische Entwicklung des Städtewesens zu seinem Gegenstand zu machen. Allein das Interesse für jene Zeit ist zunächst nur ein historisches oder vielmehr politisches, nicht ein ästhetisches. In dieser Beziehung waren W. Scott und seine Nachfolger, die das alte Ritterthum aus dem Schutt wieder aufgruben, viel günstiger gestellt. Denn so wenig politischer Verstand in den Begebenheiten zu finden war, die sie mit dem Schimmer der Poesie verherrlichten, soviel individuelles Interesse boten ihnen ihre Stoffe. Die Sitten des Ritterthums, wenn man sie geschickt zu gruppiren verstand, konnten als ein ideales Costüm aufgefaßt werden. Die politischen Beziehungen waren leicht zu übersehn, denn sie beruhten theils auf der gleichmäßigen Tradition, theils auf persönlichen Interessen und Launen; sie fanden ihren Mittelpunkt in der strahlenden Persönlichkeit von Helden und Fürsten, und sie erweckten auch kein politisches Bedenken, da sie keine unmittelbare Beziehung zur Gegenwart hatten. Anders ist's mit der Geschichte der deutschen Städte. Sie macht einen großen Eindruck, wenn man sie als Ganzes auffaßt und von der welthistorischen Warte betrachtet. Aber das Leben in den Städten des Mittelalters ist unserm Bürgerthum ebenso fremd geworden, wie das Ritterwesen, und entbehrt den Vorzug eines idealen Costüms: wenn man ins Einzelne geht, so enthält es sehr vieles Kleine, Gehässige und Widerwärtige. Der Gegensatz der Zünfte gegen die Geschlechter entzieht sich viel mehr der poetischen Darstellung, als die Fehden der Ritter, ihre Turniere und Liebesgeschichten, und wenn man in dem unbefangenen Leser einmal die romantische Stimmung erweckt, so wird er sich leicht versucht fühlen, für den patriarchalischen Klopssechter, den Ritter mit der eisernen Hand gegen die Pfefferkrämer und Tuchfabrikanten Partei zu nehmen. Denn was jeder rechte Romanleser als Convenienz verabscheuen muß. war in den Städten viel concentrirter und dabei viel kleinlicher anzutreffen, als in den Schlössern des Adels. Ein zweiter Uebelstand ist die Verworrenheit der politischen Beziehungen. Um ihre Rechte gegen die übermächtigen Fürsten und Edelleute zu wahren, mußten die kühnen Vorfechter der Städte in die allgemeinen Intriguen eingehn, die wir erst von vielen Seiten betrachten und analysiren müssen, ehe wir ein Urtheil und damit eine wirkliche Theilnahme gewinnen. Das Interesse der Stadt konnte es zuweilen, mit sich bringen, Zustände stützen zu wollen, die unhaltbar waren, und wenn wir diese Verwickelungen hin und her überlegen, um uns ein Urtheil zu bilden, so wird unsre Aufmerksamkeit von der Sache abgelenkt. Ganz hat W. Alexis diese Schwierigkeit nicht überwunden. Er verlegt den Kampf zwischen den Städten und der Fürstengewalt in zwei harte, gewaltthätige, aus einem Guß hervorgegangene Naturen, deren Zusammenstoß tödtlich sein muß ; aber beide, der Bürgermeister von Berlin, wie der eiserne Kurfürst, sind nicht ganz unbefangen. Es lebt in ihnen zu viel von dem Bewußtsein unsrer eignen Zeit über die Bedeutung jenes Conflicts, als daß sie ihrer Natur ganz treu bleiben könnten. Der Ausgang entspringt daher nicht aus der Natur des Gegenstandes, sondern aus der Reflexion. Aber die außerordentlichsten Vorzüge entschädigen uns für diesen Fehler. Wie V. Hugo in Notre-Dame, legt W. Alexis seinem Gemälde die altdeutsche Architektur zu Grunde, und es sieht fast so aus, als ob die Menschen etwas von der Natur jener fratzenhasten Bildwerke annehmen, die sie täglich vor Augen sehn. Aber der Geist geht doch nicht ganz in die Symbolik der Materie aus. Jene Menschen haben zugleich ein kräftiges, reichbewegtes eignes Leben, und dieses Leben drängt sich in sinnlicher Gegenwart aus. — Weniger gelungen ist der falsche Waldemar (1842), trotz einzelner vortrefflicher Scenen. Der Dichter hat sich ein unhaltbares psychologisches Problem gestellt, indem er Waldemar weder als einen Betrüger, noch als den echten Markgrafen, sondern als eine Mischung aus beiden darzustellen sucht, als einen Nachtwandler, der sich in die Seele eines andern eingelebt hat. Das trübe Licht dieses geheimnißvollen Seelenlebens verbreitet über das ganze Gemälde eine falsche Färbung. — In den Hosen des Herrn von Bredow (1846—48) ist die Staffage, und was dazu gehört, das Leben der Landedelleute, mit einem so bezaubernden Realismus dargestellt, und zugleich mit einem so seinen Humor, daß wir das Beste erwarten. Aber je weiter wir kommen, je mehr werden wir enttäuscht. Sobald die vorbereitenden Genrebilder aufhören, sobald es daraus ankommt, Männer von einem wirklichen Inhalt, von einer großen Ueberzeugung darzustellen, die mit Hintansetzung aller Nebenumstände rücksichtslos aus ihr Ziel losgehn, geht es dem Dichter, wie im Roland von Berlin, er verliert sich in psychische Abnormitäten, und die Entwickelung geht aus dem Historischen ins Pathologische über. — Kühner ist der Entwurf in dem Roman: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht (1850), der uns mit einem großen historischen Blick in die Wirren der Napoleonischen Zeit einführt. Was uns in diesem Werk zunächst wohlthätig berührt, ist der lebendige patriotische Geist, in dem es geschrieben ist. Wir meinen damit nicht jene lyrischen Ausbrüche der Vaterlandsliebe, die nicht schwer ins Gewicht fallen, sondern die Fähigkeit, den Patriotismus in concreten Gestalten darzustellen, W. Alexis hat das preußische Wesen stark und warm empfunden, und er weiß zu bewegen und zu rühren, obgleich er keinen Anstand nimmt, die Schattenseiten grell hervorzuheben. Die Schilderung der Männer, die damals Preußens Schande verschuldeten, ist so scharf und schneidend, daß man sie nur aus lebendigem Haß erklären kann, und dieser Haß thut wohl in unsrer Zeit. Allein diese historischen Gemälde bilden nur den Hintergrund ; das eigentlich romantische Interesse knüpft sich an die psychologische Schilderung der bekannten Giftmischerin Ursinus, der noch ein andrer Giftmischer, ein Herr von Wandel, beigesellt ist, auch eine Reminiscenz aus den Criminalacten. W. Alexis hat die vielen Jahre hindurch, daß er den Neuen Pitaval* [Diese Sammlung, seit l842 von Ed. Hitzig und W. Häring herausgegeben, hat sich mehr einzuschmeicheln gewußt, als irgendeine frühere. Das juristische Interesse ist in derselben nur spärlich vertreten, dagegen ist die belletristische Form mit großem Geschick gehandhabt.] herausgibt, sich so in das psychologische Raffinement der Verbrechergeschichten vertieft, daß er es in seinen Erzählungen nicht los werden kann. Er versucht sein Interesse zu rechtfertigen durch einen Regierungsrath, der aus der Verwaltung in die Justiz zurücktritt: „Ich lebe jetzt für die Verbrecherwelt. Die Wahrheit, die ich in der Psychologie des Staats nicht fand, suche ich in der der Gefängnisse. Es ist eigentlich derselbe Stempel, nur ursprünglicher, frischer. Dort sehn wir nur Stückwerk, hier Totalitäten. Wie aus dem unscheinbaren Keim eine ganze Verbrecherlaufbahn entspringt, wie die erste Unterlassungssünde, die Scham darüber, das Streben, es zu verbergen, ebenso oft als der Kitzel der Lust das Individuum weiter treibt, gäbe das keine Belehrung, ja Erhebung? Da in der großen Geschichte vertuscht man es, wie aus dem Kleinen das Ungeheuere sich ballt; hier ist kein Grund dazu. Die Diplomaten und Historiker fehlen, die das Schlechte schön malen, dem Albernen einen tiefen Sinn unterlegen, die Natur gibt sich, wie sie ist. Und wenn mitten aus der Verworfenheit ein schöner menschlicher Zug wie ein Licht aus bessern Welten hervorschießt, da kann dem Criminalisten eine Thräne ins Auge treten, und er kann den Verbrecher lieben, den er verdammen muß. Der Sprung aus der Politik in die Criminalistik ist für mich zur Rettung geworden; aus einer Welt der Verwesung, über der der gleißende Schein immer mehr reißt, in eine Naturwelt, wo es noch chaotisch daliegt, unschön, meinetwegen ekelhaft, aber es ist die grelle Naturwahrheit. Jetzt begreife ich die Völkerwanderung. Die Barbaren, welche die römische Culturwelt mit ihren Keulen niederschlugen, waren nicht etwa hohe Engel aus dem Paradiese, auch unter ihnen grassirten Laster, Blutsünde und Greuel aller Art, aber sie waren der frische Ausdruck des gigantischen Menschengeschlechts. Wenn Sie in der Verbrecherwelt nur einen andern Abklatsch der höhern Stände erblicken, so zergliedere, arrangire ich sie mir, ich finde Erklärung für vieles, was oben im Licht geschieht, in meinem Schattenreich."—Das Verbrechen ist keineswegs ein Ausdruck der Naturkraft, nicht einmal ein Ausdruck für die Schwächen der wirklichen Gesellschaft: es ist immer eine Anomalie. Nicht die Gewaltsamkeit oder die Bosheit macht seine Natur ans, sondern einfach der bewußte Conflict mit der Criminaljustiz. Wo so etwas in den höhern Ständen vorkommt, bei denen das Zuchthaus, der Pranger, der Galgen doch einen Eindruck auf das ästhetische Gefuhl hervorbringen, da liegt eine so große Anomalie in der Seele (wir meinen damit keineswegs eine criminalistisch rechtfertigende Krankheit), daß sie eigentlich nicht in den Kreis der Dichtung gehört. Die criminalistische Poesie der neuesten Zeit ist eine Verirrung des Geschmacks. Verbrechen, in welchen die Mittel im Verhältniß zum Zweck stehn, wie die eines Macbeth und Richard 3., können die Seele erschüttern, aber wenn die Geheimräthin Ursinus den Kindern ihres Bruders, ja selbst ihrem Bedienten, Rattenpulver eingibt, theils weil sie sie nicht leiden kann, theils aber auch blos aus einem verrückten Gelüst, so ist das eine abscheuliche Curiosität, die in unsern Gefühlen auf keine verwandte Saite trifft. W. Alexis hat mit bewundernswürdiger Feinheit die Seele dieses misgeschaffenen Scheusals analysirt, aber wir fühlen uns doch durch die übel verschwendete Mühe verstimmt. Daß die Romanschreiber gern zu Criminalgeschichten greifen, ist aus der romantischen Spannung des Geheimnisses zu erklären; doch war früher nicht der wirkliche Missethäter der Gegenstand des Interesses, sondern der Beschädigte oder unschuldig Angeklagte. Seit Schiller's Räubern hat sich das Verhältniß umgekehrt; jener Geist der Philanthropie, der zuerst dahin wirkte, die Verbrecher menschlich zu behandeln, die Strafen zu mildern, die Gefängnisse zu verbessern, verirrte sich zuletzt soweit, daß er im Verbrecher, wie mancher Anatom in der physischen Misgeburt, den anziehendsten Gegenstand der Beobachtung, daß er in der Anlage zum Verbrechen eine gewisse Genialität fand. Das Sprunghafte in der Entwickelung, das sich bei der Analyse misgeschaffener Seelen nicht vermeiden läßt, geht dann auch auf die Zeichnung der andern Charaktere über. So soll die Heldin als ein Ideal von klarem Gefühl, richtigem Verstand und starkem Willen geschildert werden; da sie aber aus einer unsinnigen Situation in die andre gestoßen, sich nur bruchstückartig abzeichnet, so können wir uns von ihr kein zusammenhängendes Bild entwerfen. Es kommt noch die jungdeutsche Neigung dazu, den Leser zu überraschen. Der Schluß ist völlig unbefriedigend: das Schicksal haut mit blinder Wuth rechts und links hinein, und wir verlieren die Personen, für die wir uns interessiren, ohne irgendeine Katastrophe einfach aus den Augen. Isegrim (1853) beginnt mit der Zeit nach der Schlacht von Jena und dehnt sich bis zur Revolution aus. Auch hier tritt uns ein warmes patriotisches Gefühl entgegen, das sich aber zu sehr in Unterhaltungen ausgibt und dadurch den verwickelten Gang der Begebenheiten noch mehr verwirrt. Die Staffagen sind mit der bekannten Virtuosität ausgeführt, das Aeußerliche der Charaktere mit vollendeter Künstlerschaft gezeichnet; dagegen tritt die Neigung zum Wunderlichen und Unerwarteten noch unbequemer als früher hervor, und die weite Ausdehnung der Zeit gibt den Gestalten etwas Dämmerhaftes und Verschwimmendes. Durch einzelne Züge, die wie psychologische Experimente aussehn, kommt selbst in die Physiognomie derjenigen Personen, die uns am werthesten geworden sind, etwas Ungesundes. Die anscheinend auf den solidesten Grundlagen aufgerichtete Welt des Romans verschwimmt in ein lügenhaftes Wesen, das an Tieck's Novellen erinnert, und mit einem unbehaglichen Grau breitet sich die alte Ironie der Romantik über das mit sovieler Liebe entworfene historische Zeitalter. Es ist W. Alexis nicht gelungen, sich den falschen Voraussetzungen seiner frühern Bildung ganz zu entwinden und so seinem Vaterland ein neuer W. Scott zu werden, wozu ihn die Natur mit den reichlichsten Gaben ausgestattet hatte.

 

Julian Schmidt: Willibald Alexis. Eine Studie. In: Westermanns illustrierte Monatshefte, 1872, S. 416 ff.

(weitgehende Übereinstimmungen mit dem früheren Abschnitt aus der Geschichte der deutschen Literatur, 1858)

 

Es scheint mir, daß die nationalen Romane von Wilibald Alexis noch lange nicht die Anerkennung und Verbreitung gefunden haben, die sie verdienen. Zunächst in der Mark Brandenburg müßte nach meinem Gefühl kein mäßiges Bürgerhaus zu finden sein, in dem man sie nicht besäße und sich wiederholt daran erbaute; und da in den letzten Jahren das Ansehen der Mark Brandenburg in unserem lieben deutschen Vaterland gestiegen ist, fo könnte schon das Bedürfniß, sich näher mit ihr bekannt zu machen, den Baier, Schwaben, Rheinländer, Niedersachsen u. f. w. bestimmen, sich auf das Studium eines Dichters zu werfen, der es ohnehin reichlich werth ist.

Es giebt in der Welt keine Wirkung ohne Ursache, und wenn es einem bedeutenden Dichter nicht gelingt, sich die Gunst der Menge zu gewinnen, so muß irgend ein innerer Mangel vorhanden sein. Böswillige Kritiker, die man gern anschuldigt, bestimmen niemals den Erfolg im Großen und Ganzen, und es wird selbst einer Co terie nie gelingen, einen Dichter todt zu schweigen, der den Leser zum Interesse zwingt.

Ein solcher Mangel ist auch bei Wilibald Alexis vorhanden, und es scheint mir gerathen, ihn gleich von vorn herein einzugestehen und zu formuliren.

Es fällt zunächst auf, wenn man seine Romane mit W. Scott vergleicht, daß ihnen die Erzählung nicht die Hauptsache ist, daß sie daneben andere Zwecke verfolgen. Was dem Dichter am Herzen liegt, schwillt weit über den Rahmen des Kunstwerks hinaus und beeinträchtigt seine Gliederung, seine Architektur. Ein solches Verfahren rächt sich stets; die höheren Zwecke des Dichters mögen noch so werthvoll sein: der erste Eindruck eines Romans bei Gebildeten wie bei Ungebildeten bestimmt sich stets darnach, ob er gut oder schlecht erzählt ist. Schlecht erzählt ist er aber, wenn das Interesse an dem bestimmten Gegenstand durch allerhand Zwischengedanken verwirrt und gestört wird; wenn die Aufmerksamkeit des Dichters selbst sich zerstreut, wenn er Fäden anknüpft, die zu nichts führen, wenn er eine Spannung anregt, die nicht gelöst wird. Solche Fehler der Composition lassen sich fast in allen Romanen unseres Dichters nachweisen. Der Anfang ist durchweg vortrefflich, oft glänzend, aber gegen das Ende hin erlahmt nicht selten das Interesse, die Erzählung geht nicht mehr aus vollem Athem, es ist kein großer Zug darin, man merkt Mosaikarbeit.

Ein zweiter Fehler liegt in der eigentümlichen Form seiner Darstellung. Es ist nicht blos sein Talent, sondern seine künstlerische Ueberzeugung, was ihn hindert, einfach und in ruhigem Fluß zu erzählen. Er liebt es, den Leser durch Sprünge zu überraschen, er bricht eine Begebenheit in der Mitte ab, um sie dann an einem Ort, wo man es gar nicht erwarten sollte, wieder aufzunehmen, sie nicht blos weiter zu führen und zu ergänzen, sondern zu berichtigen, als ob man zuerst nur ungenau gesehen hätte. In Augenblicken einer größeren Spannung und Erregung mochte er gern die Phantasie des Lesers zum Nachschaffen anreizen: er erzählt dann undeutlich, fragmentarisch; er giebt blos Andeutungen und erwartet, der Leser werde sie ausfüllen. Alle diese Kunstmittel sind an sich nicht zu tadeln, es können sogar sehr große Wirkungen dadurch hervorgebracht werden: aber einmal darf die epische Form sich ihrer nur sparsam bedienen, weil der Leser sonst ermüdet; dann erfordert es eine stärkere Dichterkraft, welche die Phantasie zwingt. Um aus Fragmenten in der Poesie ein Ganzes zu erzeugen, muß der Dichter ein sehr sicheres Augenmaß und eine starke feste, niemals irrende Hand haben. Mitunter gelingt es Wilibald Alexis vortrefflich; zuweilen aber, wenn er den Sprung macht, hat er die Entfernung nicht richtig abgeschätzt, oder seine Kraft reicht nicht aus, kurz, er muß wieder zurück, der Leser wird verdrießlich und die Wirkung geht verloren. Dazu kommt, daß er zuweilen versucht, in einer anderen als seiner natürlichen Tonlage zu reden. Er versucht (z.B. im„Roland von Berlin,") den Chronikenstil nachzubilden, was, selbst wenn es ihm völlig gelänge, ein verfehltes Unternehmen wäre, weil der Leser des neunzehnten Jahrhunderts mit Recht verlangt, daß der Erzähler sich auf die gleiche Bildungsstufe mit ihm stelle, seine Sprache rede, seine Voraussetzungen theile. Aber es gelingt nie völlig, denn wer will auf die Länge anders denken und darstellen, als es seiner Bildung angemessen ist! Dann fällt plötzlich die Maske, moderne Anschauungen mischen sich in die künstlich gothischen, die Einheit des Tons geht verloren, und der Leser wird wiederum verstimmt. Dagegen beobachtet Wilibald Alexis in den Gesprächen, die er seine Figuren führen läßt, nicht immer das historische Gesetz der Wahrheit. Es wäre thöricht, zu verlangen, daß in einem Roman, der im fünfzehnten oder sechzehnten Jahrhundert spielt, die Leute in der Sprache dieser Jahrhunderte reden sollten: aber sie dürfen nichts Anderes ausdrücken, als was ihnen der Bildungsgang ihrer Zeit zu denken und empfinden erlaubt. Wilibald Alexis läßt oft seine Helden tiefsinnig werden, und dann reden sie, als ob sie die Hegel'sche Philosophie studirt hätten; sie anticipiren, was kommende Jahrhunderte, durch lange Erfahrung belehrt, über ihre Mission begriffen haben. Das ist nicht blos ein Anachronismus, eine Versündigung an der Geschichte, sondern auch ein Verstoß gegen die Gesetze der Kunst. Denn es beeinträchtigt die Einheit des Tons. Wenn z. B. Kurfürst Joachim die raffinirtesten Speculatiouen anstellt über die Bedeutung des Menschenlebens im allgemeinen und die Fürsten im besonderen, und gleich darauf an feine Thür mit Kreide angeschrieben wird: „Jochimke, Jochimkee, hüthe di! kriegen wi di, dann hangen wi di!" so fällt uns nothgedrungen ein: das ist ja die Sprache, die er versteht, in der er selbst sich ausdrückt, wir versuchen uns seine Speculationen in dieselbe zu übersetzen, und mit der Illusion ist es aus. Gerade bei dem sehr bedeutenden realistischen Talent, welches Wilibald Alexis befähigt, Leute aus den verschiedensten Ständen so reden zu lassen, wie sie in Wirklichkeit reden, oder wenigstens den Schein davon zu erregen, fällt dieser Contrast sehr empfindlich auf: Luise Mühlbach kann ihren Friedrich den Großen so überschwenglich reden lassen, wie sie Lust hat, es fällt nicht auf, denn bei ihr redet kein Mensch so, wie er in der Wirklichkeit je hätte reden können.

Diese geschichtsphilosophischen Excurse leiden noch an einem andern Mangel: sie sind, wie man sich auszudrücken pflegt, zuweilen zu geistreich. Der Ausdruck wird öfters bemängelt, denn wie in aller Welt könnte man zu viel Geist zeigen! Es soll aber damit nur gesagt werden, daß der Geist nicht zum Körper, d. h., nicht zur Sache gehört. Wirklich große Gedanken krystallisiren sich alle wie das Ei des Columbus: wenn sie einmal ausgesprochen sind, so fragt sich Jeder betroffen: warum ist mir selber das nicht eingefallen? es steckt ja ganz in der Sache. Die geistreiche Manier dagegen, die man tadelt, beruht eben darin, daß zwischen dem Gegenstand und dem Urtheil keine nothwendige innere Beziehung obwaltet; man könnte mitunter das Gegentheil sagen von dem, was man sagt, und doch eine recht feine und artige Wendung finden.

Dieser Fehler geht auch auf die Charakteristik über. Bei einfachen Naturen ist Wilibald Alexis ein ausgezeichneter Charakterzeichner; mit besonderer Vorliebe aber wagt er sich an solche Menschen, deren Leben ein Räthsel ist. Er will die Widersprüche einer groß angelegten Natur nicht sowohl lösen als zeigen, z. B. die Verbindung eines übermächtigen die Seele umfangenden Traumlebens mit einem "hellen und großen Verstand, mit einem leidenschaftlichen und unerschütterlichen Willen; die Verbindung einer edlen Ueberzeugung mit einem dämonischen Gelüst des Herzens, das sich nicht unterdrücken laßt: mit einem Wort, das Ineinanderleben des Wahnsinns und des sonnigen Bewußtseins. Ich bin weit entfernt, der Poesie solche Stoffe zu versagen: sie sind vielleicht ihre höchsten — aber auch die schwersten. Dämonische Menschen, Menschen eines ungeheueren Contrastes kann nur derjenige darstellen, in dem selbst der Dämon lebt. W. Alexis, wenn er sich an solche Aufgaben wagt, macht den Eindruck, als traue er seiner Kraft zu viel zu. Aus der ernst genommenen tragischen Aufgabe wird dann mitunter ein tändelndes Spiel, oder es drängen sich wohl gar Reminiscenzen ein, an T. A. Hofmann oder andere Romantiker.

Ich glaube, in diesen drei Punkten die Hauptgebrechen unseres Dichters ziemlich vollständig angedeutet zu haben. Sie machen bei der ersten Lectüre einen ungünstigen Eindruck, bei dem die meisten Leser stehen bleiben. Es ist das aber ein falsches Verfahren. Wenn sie es zum zweiten oder dritten Male versuchen, so werden ihnen mehr und mehr die großen Schönheiten aufgehen, das Unangemessene wird in den Hintergrund treten, und sie werden, wenn auch keinen reinen Eindruck, doch einen überwiegend erfreulichen empfangen. Dieses Schöne aber bei W. Alexis aufzusuchen und sich die Mühe nicht verdrießen zu lassen, dazu ist ein Grund vorhanden, der freilich außerhalb der Aesthetik liegt. Wir besitzen in ihm einen unermeßlichen Schatz geschichtlicher Anschauung, der wenigstens bis jetzt durch nichts Anderes ersetzt werden kann, weder durch Geschichtschreibung noch Dichtung. Wir empfangen durch ihn ein Bild der historischen Zustände und der Entwicklung der Marl Brandenburg und des preußischen Staats überhaupt, das unauslöschlich bleibt, und in der Hauptsache der Wahrheit entspricht. Wer sich von dem Werthe dieser Bilder eine lebhafte Vorstellung machen will, der schlage, nachdem er einen seiner Romane gelesen, die betreffenden Kapitel bei Droysen auf. Ich nenne absichtlich einen unserer ersten Historiker, einen Mann, dessen Reichthum an Geist drei Schriftsteller von gewöhnlichem Schlage vollkommen versorgen könnte, und der noch dazu bei seiner Darstellung durch den Raum wenig eingeschränkt wird. Von ihm empfängt man wohl den Zusammenhang der Thatsachen, ihre tiefere Bedeutung, ihre Stellung im Reich der Gedanken überhaupt; aber man empfängt kein Bild, man sieht nichts vor sich, weder die Menschen noch die Zustände. Bei andern untergeordneten Geschichtschreibern ist in dieser Beziehung die Ausbeute vielleicht größer, desto empfindlicher wird der Mangel an Geist. Wohin man sich umsieht, nirgend findet man etwas, das an die Stelle von Wilibald Alexis treten könnte: denn auch wenn man unmittelbar an die Quelle gehen wollte, so gehört zu ihrem Verständniß eine nachschaffende Phantasie, die nicht Jedem gegeben ist.

Mit dieser nachschaffenden Phantasie, die oft aus ganz fragmentarischen Angaben ein lichtvolles Bild macht, mit diesem unverdrossenen und einsichtsvollen Studium, das auch das Kleinste nicht aus der Acht läßt, verbindet Wilibald Alexis eine Gesinnung, die, durch Verstand und Nachdenken verklärt, ein sicherer Leitstern für ihn ist auf dem Gebiet der Geschichte und der Politik. Er verbindet damit ferner ein Naturgefühl, wie es in dieser Stärke und Gesundheit bei einem deutschen Dichter eine große Seltenheit ist. Er weiß die historischen Zeiten der Mark Brandenburg darum treffend und richtig zu schildern, weil er in ihrer Gegenwart völlig zu Hause ist; er kennt jeden Sandhügel und jeden Teich, ich möchte sagen, er kennt jeden Busch; aber mehr als das, er athmet die märkische Luft, der Pulsschlag des märkischen Lebens ist sein eigener geworden; er wird durch ihn bewegt und weiß, wie er durch ihn bewegt wird; er hat nicht nur die Natur in sinnlicher Klarheit vor sich; er weiß sie auch seinen Lesern lebendig und fühlbar zu machen, er ist nach dieser Seite hin nicht blos ein Erfinder im großen Stil, sondern, ich sage es dreist, er ist nicht zu überbieten. Es ist aber nicht blos Heide und Wald, Sumpf und Fluß, was er in dieser Weise lebendig in sich trägt, es sind ebenso die Menschen, die diesem Boden eignen. Er hat keine eigentlichen Dorfgeschichten geschrieben, aber seine märkischen Bauern können sich dreist neben den mecklenburger Bauern Fritz Reuter's und den schweizer Bauern Jeremias Gotthelf's sehen lassen.

Es würde sehr der Mühe lohnen, die Entwicklung eines solchen Dichters im Detail zu verfolgen; ich halte mich aber heute ausschließlich an seine nationalen Romane, und gebe, was mir von seiner Jugend bekannt ist, nur in der allgemeinen Uebersicht.

Sein eigentlicher Name ist Wilhelm Häring oder vielmehr ist auch dieser nur ein später angenommener; die Familie hat früher einen französischen geführt, der mir unbekannt ist; sie war mit den Refugiés aus der Bretagne gekommen. Er ist 1798 zu Breslau geboren, fein Vater war Kanzleidirector; nach dem frühen Tode desselben zog die Mutter nach Berlin, wo der Knabe auf dem Werder'schen Gymnasium gebildet wurde. Den Feldzug von 1815 machte er als Freiwilliger mit, dann studirte er in Berlin Jurisprudenz, wurde Referendarius am Kammergericht, quittirte aber den Dienst und legte sich auf Schriftstellern. Doch ist das juristische Interesse nie ganz bei ihm ausgestorben, wie nicht blos der „Neue Pitaval," dessen Herausgabe er mit Hitzig leitete, sondern auch verschiedene Stellen seiner Romane bezeugen.

Von den Berliner Einflüssen, die auf feine literarische Vorbildung einwirkten, möchte ich Hitzig, T. A. Hofmann und den Kreis der Rahel hervorheben, vielleicht auch Achim von Arnim. Hitzig, nebenbei ein gut geschulter Jurist, vertrat ihm die frühromantische Schule, deren Andenken er in seinen biographischen Versuchen pietätvoll aufbewahrt hat; Hofmann, damals der gelesenste Schriftsteller Berlins, zeigte ihm die Welt des Contrastes, die Körper, die ihre Seelen verloren haben, und die Seelen, die sich nach einem Körper sehnen. W. Alexis hat sehr verständig über ihn geurtheilt, ohne aber durch dieses Urtheil die starken Einflüsse auf seine poetische Richtung abzuwehren. In Rahel's Schule wurde das Denken in Dienst der Salons und der Conversation gebracht. Was Arnim betrifft, so weiß ich nicht, ob die „Kronenwächter" unserm Dichter schon in der Jugend bekannt waren; auf seine späteren historischen Romane haben sie sehr entschieden gewirkt, die Zeichnung ist mitunter wie von einer Hand.

Nun aber tauchte W. Scott auf, dessen Popularität die jungen Berliner Literaten aufs äußerste verdroß. Der Versuch, sich an ihm zu reiben, brachte W. Alexis' erste literarische Leistung hervor.

Der „Walladmor" erschien anonym 1823. Das Buch machte viel Aufsehen und wurde in der Thal von Mehreren dem „Großen Unbekannten" zugeschrieben; W. Scott hatte sich noch nicht als Verfasser der Wllverley-Romane bekannt. Heut erscheint eine solche Verwechslung kaum begreiflich; es ist auch schwer zu sagen, was W. Alexis eigentlich beabsichtigte, ob eine Mystification oder eine Parodie. Manche Nebensachen in der Manier W. Scott's sind glücklich getroffen, aber die Hauptsache fehlt, die geordnete fesselnde Erzählung, die scharfe Charakteristik und die Sachlichkeit überhaupt.

Was W. Alexis seinem Vorbild verdankt, sieht man aus Bildern wie der „Krug zum todten Mann" in der Luckauer Heide. Die Schilderung dieses schmutzigen Wirthshauses ist dem Leben abgeschöpft, echt märkisch, und nur in dieser Umgebung zu denken: und doch wird man an bekannte Scenen erinnert, an den Elachan von Aberfoil, an die Häuslerhütten am Dorf Kippletringan; die Art wie W. Scott diefe verfallenen Gebäude in der schottifchcn Einöde zeichnet, hat W. Alexis gelehrt, die Eigenthümlichteiten der Mark zu beobachten und herauszutreiben.

Das nächste Wert dieser Art, „Schloß Avalon," 1827, läßt denn auch die Parodie ganz fallen und wird eine einfache Nachahmung. Der Roman spielt in der Zeit, die auch W. Scott mit besonderer Vorliebe behandelt, in den Kämpfen der Cavaliere und Rundköpfe. Es ist ein sehr gescheidtes Buch, das auch tüchtige Studien verräth, aber es fehlt gerade das, was W. Scott's Romane so anziehend macht: der Verfasser lebt nicht in den Dingen, er hat sie nicht aus der lebendigen Tradition, sie sind ihm nicht in Fleisch und Blut übergegangen, sondern er verdankt Alles den Büchern. In derselben Zeit versuchten mehrere talentvolle Schriftsteller, besonders Spindler und Hauff, mit Erfolg die Methode W. Scott's auf vaterländische Stoffe zu übertragen und ihr eine provinzielle Basis zu geben. W. Alexis hatte damals noch keine Ahnung von der eigentlichen Aufgabe seines Talents. Wir sehen ihn nach den verschiedensten Seiten tasten: er schreibt ästhetische Recensionen, Novellen in der Manier Hofmann's, und Tieck's, die 1830 gesammelt wurden; der Erfolg der Heine'schen „Reisebilder" bestimmt ihn, „Wanderungen nach dem Süden," „Eine Herbstreise durch Skandinavien" (1828), „Schattenrisse durch Süd-Deutschland," „Wiener Bilder" und Aehnliches herauszugeben. Es ist mehr ein Zufall, der ihm den Stoff des „Cabanis" in die Hand spielt. Das Buch erscheint 1832 und hat einen glänzenden Erfolg.

Der Roman enthalt noch vielen Bodensatz aus der alten Schule. Gleich die Figur, welche den breitesten Raum einnimmt, der Marquis von Cabanis selbst, ist wie eine Photographie nach Hofmann'schen Fragmenten, ein Phantasiestück in Callot's Manier. Seine Erscheinung macht fast überall den Eindruck eines Alpdrucks; der Dichter faßt es selbst so auf.

Ein sehr prosaischer Mensch, Graf Meroni, liegt im Bett und wird aus einer wahrscheinlich nur physischen Ursache von Angst ergriffen. „Ein Alp lastete auf ihm; er ächzte erstickend, er schrie um Hülfe und schleuderte, in Todesschweiß sich aufrichtend, das Deckbett fort. Die Frauenkirche (in Dresden) schlug eben drei Uhr; es war hell im Zimmer und vor seinem Bett stand eine sonderbare Gestalt. Im flatternden Nachthemd, bloßen Beinen, die Mütze vom kahlen Scheitel gefallen, in der Hand einen Armleuchter, grinste ihn der Marquis an."

Der Graf ist zuerst ganz von Grauen und Entsetzen übermannt, endlich entschließt er sich aufzustehen. „Während er schlaftrunken in die Kleider fuhr, spazierte der nächtliche Gast die Stube auf und ab. Die kleine Gestalt im zerknitterten Hemd, wie sie, die Arme auf dem Rücken, in immer hastigeren Sprüngen die Zimmerlänge maß, hatte etwas Gespenstisches. Der Marquis ging nie anders, als ein Bein über das andere setzend: hatte dieser Kreuzschritt bei seinen verhältnißmäßig kleinen und zierlichen Füßen, schon wenn er im Hoftleide war, etwas Seltsames, so steigerte sich jetzt diese Seltsamkeit zum widerwärtig Wunderbaren. Immer hastiger und doch dabei zierlich abgezirkelt, fingen die nackten Füße über einander, und der Graf, den es unheimlich überlief, stand in der Erwartung, daß er wie ein Kobold einmal die Wand hinaufspazieren möchte: aber er kehrte jedesmal ebenso geschickt um, als er scheinbar blind daraufzurannte. Je mehr der Graf, Traum und Schlaf abschüttelnd, von der Identität seines Gastes und Freundes überzeugt wurde, sah er ein, daß u. s. w."

Der Marquis verbindet mit seinem nächtlichen Besuch einen ganz vernünftigen Zweck; die fratzenhafte Darstellung trägt zur Charakteristik der Situation nichts bei, sie ist um ihrer selbst willen da, und zum Ueberfluß wiederholt sie sich fast jedesmal, wo der Marquis auftritt. Sie würde vortrefflich in ein Hofmann'sches Phantasiestück passen, auch Dickens hat später Aehnliches mit noch größerer Virtuosität versucht, aber hier, im Verlauf einer ernsthaften Geschichte, macht sie insofern einen unheimlichen Eindruck, als man keine Ahnung hat, was der Verfasser will. Der Marquis redet und handelt zuweilen wie ein Wahnsinniger, zuweilen aber auch ganz vernünftig: wie das zusammenhängt, erfährt man nicht. Dabei ist er der Maschinist der Handlung, und das Unglaubliche seiner phantastischen Erscheinung wirft seinen Schatten auch auf die übrigen Verhältnisse, die er berührt. Die sonst so bestimmt und kräftig gezeichneten Gestalten erhalten dadurch etwas Unstätes und Zweifelhaftes. Die ganze Familie Meroni, mit der er es hauptsächlich zu thun hat, die stolze Eugenie und die lustige, intrigante Amalie sind mehr nach dem Vorbild französischer Lustspielfiguren gedacht als wirklich angeschaut; auch in andern Partien des Romans spukt Hoffmann mitunter. Der boshafte Advocat Schlipalius ist eine verwässerte Copie des Sandmanns.

Alle diese Arabesken muß man bei Seite schieben, um den reinen Eindruck der Geschichte zu haben. Am entschiedensten wirkte wohl überall der erste Band. Ich war noch auf der Schule, als er bei uns bekannt wurde, und erinnere mich lebhaft, wie alle Gymnasiasten für ihn schwärmten. Das Motiv der Kindergeschichten war damals noch nicht ausgebeutet, es wirkte mit allem Reiz der Neuheit; aber es behauptet auch heute noch vollkommen sein Recht. Die Verbindung von rührender Innigkeit und Schelmerei muß jedes natürliche Gemüth erfrischen.

Der Roman vergegenwärtigt die Zustände der französischen Colonie in Berlin, erst ums Jahr 1740, dann 1762; mit einer Treue und Anschaulichkeit, daß man wie mitten in dieser Gesellschaft lebt. „Einen von der Colonie konnten sie auf den ersten Blick an seiner Kleidung, seinem zierlichen Gang, dem süßen Mienenspiel unterscheiden. Man dünkte sich Wesen besserer Art; nur daß man diesen Adel nicht durch junkerhaften Hochmuth, sondern durch eine gewisse Zurückhaltung, ein feines, zuvorkommendes Benehmen geltend machte. Die Leute sollten fühlen, wer wir waren. Unter anderem prätendirte man, unsere Sinne wären weit feiner, unsere Nerven empfindlicher; gegen das Rohe und Gemeine (namentlich gegen schwarze Seife und Branntwein) wurde uns von früh auf ein Widerwille eingeprägt; unser Spielzeug mußte gewählt sein, die ungeschickten Nürnberger Drechslerwaaren durften uns nicht in die Hände kommen. — Man sah es ungern, ja wie eine Art Befleckung an, wenn Einer von der Colonie herausheirathete; man suchte das Vermögen in den Familien zusammenzuhalten; auf ein reiches Mädchen glaubten alle ihre unverheiratheten Vettern, nach der Reihe des Grades, ein gewisses Recht zu haben. Was man so häufig bei Familien bemerkt, die nur in einander heirathen, trifft auch bei uns zu: eine gewisse physische und moralische Erschlaffung; ein Charakterzug süßlicher Weichherzigteit ist auf vielen Gesichtern unvermischter französischer Abkunft unverkennbar. — Wenn etwas vorfiel, so betrachtete man die Handlung nicht nach ihren Beweggründen oder nach ihrer Wirkung, sondern es hieß: was wird Der und Jener dazu sagen?"

Die Mutter des Knaben, der die Geschichte erzählt, ist gegen die Sitte der Colonie an einen schlichten Berliner Bürger verheirathet, einen Inspector Böhm, aus der strengen Schule Friedrich Wilhelm's I., dem als erste Pflicht der Erziehung gilt, durch Prügel allen eigenen Willen aus den Kindern auszutreiben; eine prächtige Figur, die trotz ihrer Roheit und Befangenheit herzliches Mitgefühl erweckt. Wie der derbe Preuße die feinen Franzosen halb verachtet, halb vor ihrem imponirenden Wesen sich beugt, das ist mit überwältigendem Humor dargestellt.

Der Mittelpunkt der Handlung ist ein Familiengericht, in welchem ein ungerathener Sohn durch den strengen Vater erst geprügelt, dann unter die Soldaten gesteckt wird. Die Familie findet sich vollzählig ein: „so glänzend war noch keine Hochzeit, kein Kindtaufen gewesen. Die Frauenzimmer, wenn auch für ihren Leib, konnten doch kaum in dem, was die Mode und der Schneider dazugethan, auf den Stühlen längs der vier Wände, die Herren mit ihren fpihen Degen kaum, ohne sich zu spießen, an den Pfeilern und Fenstern Platz finden. Doch wurde daran fürs erste noch gar nicht gedacht: meine Mutter becomplimentirte sich, wie es sein mußte, mit den Eintretenden, die vorher unter sich auf dem Flur einen Kampf der Höflichkeit über den Vortritt bestanden hatten. Die kerzengerade Haltung der Damen in den tiefen Knixen, der Wellenschlag ihrer Reifröcke, in denen ihr Leib versank, die ernsten Mienen unter den thurmhohen Frisuren und die wallenden Federn oben — es verging eine Viertelstunde, ehe dies wogende Meer aus einander kam, ehe ein Jeder einem Jeden ein verbindliches Wort gesagt und seinen Platz aufgefunden hatte. Man sah meiner Mutter die Angst an, sie konnte doch aus Versehen einen Vornehmeren zu tief, einen Geringeren zu hoch placirt haben."

Und das alles, um einen armen Jungen prügeln zu sehen! „Dazu hatten sie sich geputzt, die eifrigen Geschäftsmänner ihre Schreibtische verlassen, die Frauen ihre Wirtschaft! Wenn in der Folge mein Lehrer die Grausamkeit der Römer schalt, welche zusahen, wie man Verbrecher den wilden Thieren vorwarf, mußte ich unwillkürlich an meine Verwandten denken. Doch es waren nicht übersättigte Römer, nur Bürger und Bürgerinnen einer Stadt, die noch nicht jährlich an sieben Siegen ihres Friedrich zehren konnte; es war nicht Blutdurst, nur die grausame Langeweile einer eintönigen Zeit."

Dies Letzte ist ein Gedanke, auf den W. Alexis gern zurückkommt. Der Delinquent des vorliegenden Falles, Gottlieb, wird gezüchtigt, weil er um eines Judenmädchens willen Straßenkrawall angefangen. „Wenn ich denke," bemerkt später Eugenie, „das wäre in Italien passirt, da hätte Gottlieb das Mädchen entführt, in die Berge geschleppt, sie wäre eine Räuberbraut und er ein freier Mann. Da würde des armen Gottlieb Kühnheit und Liebe in Liedern gepriesen werden, edle Damen sängen sie zur Guitarre; hier nennt man ihn einen lüderlichen Taugenichts und schämt sich seiner."

Indem man Gottlieb unter die Soldaten steckt, gilt er als ein Ausgestoßener. „Man flieht ihn, man schließt die Thüren und Taschen vor ihm, und sonderbar, dennoch betrachtet man das Unterstecken ins Regiment als ein Correctionsmittel für ungerathene Söhne. Ein unbestimmtes Herkommen läßt den Vätern diese Gewalt. Es ist eine letzte Cur auf Tod und Leben, oder besser, man entledigt sich so auf die wohlfeilste Weise eines Familiengliedes, welches nur Kosten, Sorgen und Schande verursacht: was der Soldat thut, fällt nicht mehr auf die Familie zurück."

Noch einmal, als der Krieg ausbricht, sucht die Familie den Vater zur Gnade zu bewegen. „Die Vorstellung eines ehrenvollen Todes, eines Sterbens fürs Vaterland, jetzt (1758) widerhallend von der Lippe jedes Knaben als eine große und schöne Bestimmung, war uns noch fremd. Es war eine friedliche, bürgerliche Familie in einem durch sechs Jahrzehnte in Ruhe und Frieden gewiegten Staate; was aus früherer Erinnerung herüberdrang von den Gräueln der Schweden, von den Verwüstungen des dreißigjährigen Krieges, hatte einen märchenhaft grauenvollen Klang."

Der Vater bleibt unerbittlich, Gottlieb macht als Soldat die schlesischen Kriege und den siebenjährigen Krieg mit; er verfällt der ärgsten Verwilderung, wird Säufer, Spieler, zuletzt Marodeur, aber zugleich entwickelt sich in dieser wilden Natur ein patriotisches Gefühl, das gewissermaßen sein Reinigungsmoment wird. Wie das preußische Bewußtsein allmälig sich bildete, das ist in diesem rohen aber gemüthstiefen Menschen kräftiger und überzeugender entwickelt, als in den übrigen zum Theil vortrefflich ausgeführten Kriegsbildern, in denen man zu viel mit gebildeten und reflectirten Leuten zu thun hat.

Rührend und gemüthvoll ist die Rückkehr Etienne's ins verlassene und verarmte Vaterhaus geschildert; die anziehendste Episode aber ist, wie Etienne, von den Feinden verfolgt, über die Dächer in ein Schlafzimmer dringt und dort seine Cousine Stephanie findet, die, um ihre für ihren morgenden Hochzeitstag eingerichtete Fri für nicht zu verderben, die Nacht auf einem Sessel zubringt. Es ist ein Bild von der reizendsten Anmuth: W. Alexis hat nicht blos die Poesie der Kiefernheide, er hat auch die Poesie des Rococo, der Reifröcke und der Frisuren entdeckt und zur vollen Geltung gebracht.

Der sogenannte Romaninhalt ist nicht bedeutend. Etienne in seinem Verhältnis; zu Eugenie erinnert stark an Tellheim: auch er will die sächsische Braut nicht eher heimführen, bis der König, der sich bisher hart und spröde gegen ihn verhielt, ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen. Wenn das ganze Buch von Begeisterung für die Heldenthaten Friedrich's durchweht ist, so treten ebenso stark dessen Schattenseiten hervor, und mitunter ergreift den Verfasser tiefes Mitleid mit seiner einsamen Größe.

„Wird die preußische Begeisterung ausdauern?" fragt der russische General Tottleben den jungen Enthusiasten. „Im Krieg findet sie auf jedem Schlachtfeld Nahrung, wird sie aber im Frieden dauern, wenn Friedrich, alt und grämlich, nicht mehr das Idol Derer ist, welche eine Wiedergeburt von ihm erwarten, wenn fein Mißtrauen mit den Jahren wächst und keine Hoffnung mehr die hellen, großen Augen des einsamen Greises belebt? — Ich war auch an seinem Hof. Seine Unterhaltung reißt hin, die Dummen selbst bekamen kluge Gesichter, wenn er mit ihnen redete. Aber mit jedem Jahr wurde sein Blick ernster, sein Witz bitterer; sein Mißtrauen verletzte und sein Eigensinn war unerträglich. Lassen Sie ihn siegreich aus diesem Kriege hervorgehen; es kommt eine Zeit, wo er, die um ihn sind, nicht mehr für werth hält, eine witzige Bemerkung aus seinem Munde zu hören. Wenn er da mit saueren Blicken, vom Podagra geplagt, auf seine Krücke gestützt, in dem stummen, ehrfurchtsvollen Kreise wie ein Gespenst aus einer andern Welt umgehen wird, wenn auch sein Lieblingshund und seine Flöte ihm lein Lächeln mehr entlocken, wenn der muntere Scherz schweigt und es in Potsdam stumm wird wie im Grabe, aus Scheu vor dem alten, verdrießlichen König: dann wollen wir weiter sprechen, mein junger Freund! ob Ihre Begeisterung noch Stich hält."

Die Begeisterung hält Stich, aber das Urtheil, welches Etienne in späteren Jahren ausspricht, weicht nicht wesentlich von dem des Russen ab. Es ist das Urtheil des Dichters selbst. Keiner hat mit größerer Wärme die Schöpfungen gerühmt, die Preußen und Deutschland den Hohenzollern verdankt, Keiner klarer eingesehen, daß diese Schöpfungen nur aus einem starten und kalten Willen hervorgehen konnten: aber dieser starke und kalte Wille hat für den Dichter etwas Unheimliches, und nur mit einem schmerzlichen Blick konnte er die Männer betrachten, die von der Vorsehung zur einsamen Grüße bestimmt waren.

Sein System, wenn man es so nennen darf, bildete sich erst im Lauf der Jahre. Der große Erfolg des „Cabanis" bestimmte ihn keineswegs, auf der neu betretenen Bahn zu beharren. Er unterlag jungdeutschen Einflüssen, und das „Haus Düsterweg," 1835, die „Neuen Novellen," 1836, und die „Zwölf Nächte," 1838, sind verwandter den gleichzeitigen Arbeiten von Gutzkow, Laube und Mundt, als den späteren und früheren Schriften des Dichters selbst. Erst im „Roland von Berlin," 1840, faßte er seine poetische Aufgabe mit völliger Klarheit und ist ihr seitdem treu geblieben.

„Sieh! der knorrigen Kiefer haben sie mit der Art die Aeste abgehauen; gekappt haben sie den Baum und Nägel hineingetrieben, seine Wurzeln klammern im Sande fest. Du meinst, er ist todt. Aber laß die Herbstregen feine Wurzeln wieder netzen, und die Frühjahrssonne den Stamm erwärmen, fo treibt er wieder junge Schößlinge und grünt fort; es ist ein guter Stamm voll gesunder Säfte. So ist auch das Volk, das auf diesem Sande wuchs."

"Ueber den nordischen Grenzländern der deutschen Zunge ist die Spende des Sonnenlichts kärglich; es hatte nicht Macht, die Sümpfe auszutrocknen, die das Meer zurückließ, noch den Boden zu wärmen, daß er die Geschlechter der Menschen freiwillig ernähre, welche der Strom der Völker dahin verschlug. Diesen Geschlechtern ist die Aufgabe gestellt, daß sie mit der Natur ringen, sie sollen den Boden im Kampf mit den Stürmen und Gewässern selber sich machen."

"Eine harte Aufgabe! und wie viele Jahrhunderte darüber verstrichen, sie ist noch heute nicht zu Ende. Noch immer müssen sie arbeiten im Schweiße ihres Angesichts, daß sie den Sand bändigen und festigen, den der Wind unter der Pflugschaar wegweht."

Wie oft ward diese Arbeit unterbrochen! und gerade dann, wo es den Anschein hatte, als sei die Ernte endlich vor der Thür. Von den Unglückszeiten zu schweigen, die wir oder unsere Väter noch miterlebt, es hat auch in der Vorzeit wohl kein Land und kein Volt so viele und so schwere Prüfungen überstanden als das unsere. Das geht weit hinauf, und es hält schwer, daß wir diese Zeiten vergleichen und entscheiden, welche die schlimmste war. Denn wer leidet, meint, ihm ginge es am schlimmsten, ja unser Gcdächtniß ist dann so kurz, daß uns das ehedem Erduldete gering vorkommt gegen das Uebel, unter dem wir im Augenblick seufzen. So vergaßen wir, als der Druck der Franzosen auf uns lastete, des Drucks, den die Väter und Urgroßväter im siebenjährigen Kriege ertragen, und so hatten die dazumal auch vergessen, um wie viel schlimmer der dreißigjährige war.

Schon im frühen Mittelalter hatte die Mark Brandenburg eine stolze Stellung gewonnen. Aber mit dem Wappen der Askanier, das die Geschichte über ihrer Gruft zerschlug, war es, als sei der Zauber gelöst, der die Stücke zusammenhielt zu einem Ganzen. In den Sand fuhr wieder …

[Scanfehler: wird bei Gelegenheit repariert …]

… Aehren, nicht durch den Handel, der die Schätze der Welttheile durch ihre Flüsse führte; sie ward groß durch die Ausdauer im Unglück. Geschlagen und getreten, ins Elend getrieben und halb vernichtet, sammelte ihr Volk sich immer wieder zu alter Kraft. Da weckte die Roth, wenn sie am ärgsten war, die rechten Helfer, Helden in Stahl und Eisen, aber mehr noch Helden darin, daß sie Heller als ihre Zeit erkannten, was ihr Noth that. Mit scharfem Messer schnitten sie in die Wunden und warfen das böse Fleisch aus, taub gegen das Geschrei derer, die riefen, es fei doch ihr Fleisch. So mit Verstand und Einsicht stattete der Herr diese Retter ihres Volks aus, daß ihr Blick weiter sah, als ihr Arm reichte, und der Geist war mit ihnen." —

Die erste That, durch welche die Hohenzollern in der Marl Brandenburg für den modernen Staat das Fundament legten, war die Niederwerfung der Raubritter; die zweite die Bändigung der aufständischen Städte. Die letztere in den Jahren 1442 bis 1448 ist der Inhalt des „Roland von Berlin."

Der Roland ist ein steinernes Standbild vor der Kirche, welches symbolisch das Recht der Stadt auf den Blutbann ausspricht. Mit der Zertrümmerung dieses Standbildes durch den Kurfürsten Friedrich II. schließt der Roman.

Hüter des Roland und gleichsam sein Repräsentant in Fleisch und Blut ist der Bürgermeister Johannes Rathenow, eine ideale Figur, deren leitender Grundsatz, Recht muß Recht bleiben, die Probe in der Wirklichkeit bestehen soll. Nicht ohne gewaltthätige und despotische Neigungen, fragt er doch bei Allem, was er beginnt, zunächst darnach, ob es dem Rechtsprincip entspricht, kommt dadurch in Conflict mit allen Parteien und wird öfters genüthigt, seinen Zwecken zuwider zu handeln. Ihm gegenüber steht der Hohenzoller Friedrich Eisenzahn mit dem genialen Bewußtsein dessen, was nothwendig ist, und mit geringer Scheu vor Herkommen und geschriebenem Recht. Beide leidendurch die einseitige Durchführung ihrer Ueberzeugung auch innerlich Schaden: Rathenow endigt nicht bloß in der Verbannung, sondern er sieht das Recht seiner Stadt gebrochen, ohne etwas dagegen thun zu können, und muß seiner Ueberzeugung zuwider die Einwilligung zur Vermählung seiner Tochter mit einem Plebejer geben. Er hatte sich vermessen, diese Vermählung zu hindern, so lange der steinerne Roland auf seinem Platz bliebe. Da dieser nun gestürzt ist, bricht sein Trotz und er muß sich fügen. Doch auch der Kurfürst endigt nicht glücklich: die redlichen Männer in der Stadt versagen ihm den Dienst, er muß den Schlechtesten an die Spitze stellen, und vierundzwanzig Jahre nach der Unterwerfung von Berlin sehen wir ihn, müde und krank, fein Land verlassen; das alte Raubritterthum wuchert in seiner nächsten Nähe. „Die alte Roheit bricht heraus, sobald der Herr den Rücken kehrt. Nur noch zehn Schritt, und ihr seid mich los."

Der Gegensatz ist vortrefflich gedacht und die Anlage nicht unpoetisch. Zwischen den beiden Helden ist eine gewisse Aehnlichkeit. Den lebenslustigen Rittern schaudert der strenge, kalte Blick des Kurfürsten durchs Mark, und ebenso unheimlich sind den Bürgern die Rathenows. „Weiß der Himmel! in der Familie ist doch was, man weiß nicht was; aber es ist nicht wie bei andern Leuten. Mit dem Alten wird man nicht froh; sieht doch sein Gesicht aus wie der Roland selbst. Man meint immer, er wolle einem in die Seele schauen, und wenn man das Glas an die Lippen setzt, muß man nicht denken, man thue was Unrechtes, wenn er darauf sieht!" Diese Fremdheit des Fürsten gegen seine Junker, des Bürgermeisters gegen seine Städter ist ein gutes Symbol für den Idealismus, der nicht aus der vollen Natur des Volks heraus empfindet und urtheilt, sondern nach einem Prinzip, das zum Theil auf dem Eigenwillen ruht. Es ist vortrefflich gezeigt, wie dem Bürgermeister, der den Rechtsbegriff aus dem Vollen und Großen nimmt, die kleinlichen Rechtsbedenken und Rechtsansprüche der Parteien gegenübertreten, wie er beim redlichsten Willen zu falschen Schritten kommt. Die Stadt ist einem Plebejer Geld schuldig, sie weigert die Zahlung, weil rechtlich nicht ausgemittelt weiden kann, wer der Verpflichtete sei. Rathenow übernimmt die Zahlung selbst, kommt dadurch in Verdacht, das niedere Volk gegen die Patricier aufzuhetzen, wie es in ähnlichen Fällen in der römische'' Geschichte vorkam; wird abgesetzt, braucht Gewalt und läßt sich endlich verleiten, gemeinschaftlich mit den demokratischen Mißvergnügten beim Kurfürsten gegen die Stadt zu klagen. Dadurch baut er selbst dem Herrn die erste Brücke zur Unterwerfung der Stadt. Daß er nun die Bürger zum Widerstand aufregen will, fruchtet nichts mehr; es entsteht eine allgemeine Verwirrung, er hat bei keiner Partei rechtes Vertrauen, und muß endlich das Amt, das er als Erwählter der Stadt geführt, aus den Händen des Kurfürsten annehmen. Nun giebt es eine Reihe von Conflicten, er macht es Keinem von Beiden recht und wird endlich in die Verbannung geschickt. Nachdem er mehrere Jahre in Zurückgezogenheit gelebt, drängen sich die politischen Wirren wieder an ihn heran: Die Berliner haben einen Aufstand gemacht, den vom Kurfürsten eingesetzten Bürgermeister vertrieben; dieser führt offenen Krieg gegen die Stadt, heimlich vom Kurfürsten unterstützt, und Rathenow hat nun zu wählen, wem er sich anschließen soll. Ein kluger und wohlgesinnter Freund, der Bürgermeister von Brandenburg, Nikolaus Parvenitz, sucht die Entscheidung auf die Frage zurückzuführen, in welcher Stellung er am meisten nützen könne? Das weist aber Rathenow zurück, und legt sich ausschließlich die Frage vor: welche von den beiden Parteien augenblicklich im Recht ist? Das ist die Stadt; er kehrt nach Berlin zurück und versucht den Widerstand gegen den Kurfürsten zu organisiren, aber gegen die Uebermacht muß er den verruchtesten aller Raubritter zu Hülfe nehmen, der nun in der Stadt eine unerträgliche Willkürherrschaft einrichtet, bis endlich Bürgermeister und Rath das schwere Wort aussprechen: Es muß sein! Die Stadt unterwirft sich unbedingt, Rathenow geht mit Zurücklassung seiner Kinder freiwillig in die Verbannung.

In der Darstellung dieses Conflicts zwischen zwei Prinzipien weiß der Dichter mit Geist und Empfindung die eine oder die andere Seite hervorzukehren; doch geht einigermaßen das Gedachte in der Natur der beiden Helden auch auf die Darstellung über; man hat nicht immer die Empfindung, Menschen von Fleisch und Blut vor sich zu haben. Was es mit den Parteien eigentlich auf sich hat, erfährt man mitunter mehr, wenn untergeordnete Naturen in den Streit gezogen werden.

In der Mitte zwischen den Städten Berlin und Köln liegt eine Barbierstube, vom Rath privilegirt. Der Kurfürst, der einmal verkleidet nach Berlin kommt, hat Lust, sich dort ein Schloß zu bauen. Da bemerkt ihm der Barbier, ein Recht lasse sich Niemand ablaufen: „So lange als rechts vom Spreefluß Berlin liegt und links Köln, wird die Badestube an der langen Brücke stehen, und wenn Hans Ferbitz nicht mehr lebt, so lebt doch sein Recht." Es ist das eine Parodie auf das Verhältnis Rathenow's zum Roland, die aber die Sache um Vieles deutlicher macht. Die Stelle erinnert lebhaft an die „Kronenwächter," wo der Bürgermeister Barthold um der Zweckmäßigkeit willen eigenmächtig eine Winkelgasse verbaut, durch welche nach dem Gewohnheitsrecht die Mägde das Wasser tragen durften, und dadurch mit der Stadt in Conflict kommt. „Ob man denn nicht ein Recht," fragt der Kurfürst seinen Kanzler, „wenn es alt wird und schädlich, so gut abtragen kann wie ein altes Haus, das den Einsturz droht?" — In ähnlichem Sinne, nur vom entgegengesetzten Standpunkt, spricht sich der verständige Nikolaus Parvenitz gegen seinen Gastfrcund Rathenow aus.

„Was wir thun dürfen, das steht geschrieben, aber was wir thun sollen, das steht nicht Alles verzeichnet. Sein Recht kennt Jeder; das Rechte, was sich schickt und gut ist. kennen Wenige. Das Recht weist immer hinter uns; es ist ein Land, darin wir waren, nun aber treten wir heraus. Das Rechte liegt vor uns wie eine weite Gegend, in die unser Fuß zum ersten Male tritt, und wir wissen nicht die geraden Wege, weil wir noch nicht darin gegangen sind, wir müssen sie suchen. Wer da immer noch zurückdenkt an die Wege im vorigen Lande, verirrt leicht. Wir sollen uns zu« recht finden im neuen Lande; die alten Weisungen reichen nicht aus. Wir müssen uns schicken und lernen uns fügen in das Neue. Hart ist's oft, wenn der Fuß schon müde wird, noch lernen müssen, aber was wir lernen müssen, ist nicht immer das Schlimme."

„Und das Recht muß doch bleiben," sagte Johannes, als er allein war, „wer kann denn nicht geschehen machen, was geschehen ist!"

Der tragische Conflict ist hier so bestimmt als möglich ausgesprochen. Der Idealist hat in der That Zustände im Sinn, zu deren Erneuerung alle Bedingungen fehlen. Weil er zu sehr in seinem Innern lebt, sieht er nicht die Dinge, die draußen sind. Auf der andern Seite würde es schlimm mit der Welt stehen, wenn sie aus lauter Realisten bestände, die durch alles Aeußerliche umgclehrt und bestimmt werben. So haben die beiden entgegengesetzten Naturen ihr Recht, und erregen Beide unser Mitgefühl.

Es ist nicht der tragische Inhalt, der dem Roman seinen Reiz giebt: es ist vorzugsweise die Genremalerei. Die tragische Geschichte ist glücklich gedacht, aber sie zersplittert sich in ihren Motiven zu sehr; die Phantasie wird zerstreut, und muß immer erst durch starke Drücker wieder aufmerksam gemacht werden. Die Genremalerei dagegen ist in den lebendigsten Farben und Strichen, sie nimmt ohne Mühe die Aufmerksamkeit gefangen und geht dem Gedächtniß nicht wieder verloren. Wir erfahren aus dem „Roland von Berlin," wie gegen Ende des Mittelalters das Leben in einer deutschen Stadt beschaffen war, und wir lernen es von allen Seiten rennen.

Da werden wir zuerst in das gemeinsame Rathhaus von Berlin und Cöln eingeführt. Es ist nur zum geringsten Theil in Stein, aber damals baute man in Fachwerk nicht minder kühn und lustig als aus Stein und Mörtel. Da fand man dieselben Formen in den himmelhohen hölzernen Häuser» wieder, über die wir in den gothischcn Baudenkmälern aus Sandstein staunen, ja die Laune erging sich noch wunderlicher und bunter in dem gefügigern Holz, da der Stein strengere Regeln vorschreibt. Die überragenden oberen Geschosse mit wunderbar geschnitzten Balkonköpfen, die ausgebauten Eckthürmchen und Söller, wodurch die engen Straßen oft ganz überdacht wurden, davon war nicht der Mangel an Raum allein der Grund, es war ebenso oft die Laune des Baumeisters. Wie schöne Mohren und Türken und allerhand Ungeheuer zeigte das kunstvoll geschnitzte Holzwerk, und wie grimmig gähnten die Drachenköpfe von den Traufen! Ueberall, wo eine Mauerwand sich blosgab, war sie mit bunten Malereien überdeckt: da ritt der heilige Georg und tödtete den Lindwurm, der heilige Florian goß Wasser über die Feuersbrunst, der heilige Martin theilte mit dem Schwert seinen Mantel mit dem Armen, der ihn anbettelte.

In diesem Hause nun tagen die Geschlechter der Vertreter von Berlin und Köln, und berathen über das Wohl der beiden Städte. Es ist ein wildes Toben und Lärmen, noch verstärkt durch die Volksmenge, die sich unter den Fenstern des Rathhauses drängt; aber die Zeichnung ist eben so deutlich als lustig, man unterscheidet genau die einzelnen Figuren, die Parteien und ihren Einfluß.

Aus dem Rathhaus treten wir in die Wohnstube, zum Bürgermeister Rathenow. Sein Haus liegt an einem Winkel um die Nikolaikirche, die engen kleinen Fenster auf die hochgewölbten des Gotteshauses gerichtet. In eckichten Winkeln, in abschüssigen Gassen zu wohnen war damals kein Zeichen der Armuth und Niedrigkeit; Stürme und Strömungen brachen sich dort leichler als in breiten, langen Straßen; und was war die Geschichte einer Stadt im Mittelalter anders als fortlaufende Reibungen, Stürme und Strömungen zwischen den Gewerken und Geschlechtern! Je enger, verschlungener, in einander genestelt sie wohnten, desto behaglicher, sicherer dünkten sie sich. Das enge Haus des Bürgermeisters hatte so viel Behagliches, als niedrige Stuben, kleine Thüren, Treppchen und Gänge, die dazwischen laufen, nur gewähren mögen; die Balken konnte man mit der Hand erreichen, aber sie waren sauber beklebt mit bunten Bilderbogen aus Nürnberg; die Wände waren besetzt mit zierlichen Tischen und Schränken von Ebenholz und Nußbaum, ausgelegt mit kostbaren Figuren von Elfenbein und Perlmutter. In den Nischen standen aus Holz geschnitzte Bilder der Jungfrau Maria und des heiligen Nikolaus.

Es ruht auf dem Hause ein alter Fluch. Die Rathenows waren ein ehrgeiziges Geschlecht, oft in Conflict mit der Stadt; aber sie haben sich mit ihr wieder ausgesöhnt und eine verwandte Familie ihr aufgeopfert. Eine Angehörige dieser Familie lebt in dem Hause und sucht den Bürgermeister fortwährend daran zu erinnern, daß der steinerne Roland vor dem Fenster, das Symbol der Gerechtigkeit, zugleich das Symbol der Blutgier ist.

Der gute Genius des Hauses ist die Tochter des Bürgermeisters, Elsbeth, ein reizender Mädchenkopf, mit allen charakteristischen Eigenschaften des fünfzehnten Jahrhunderts. Elsbelh's Liebesverhältnis ist nicht von großem Interesse, wie überhaupt W. Alexis in keinem seiner Romane eine Liebesgeschichte erzählt hat, an der man warmen Antheil nehmen könnte. Dagegen hat er die Gabe, Mädchen nicht blos anmuthig, sondern auch tüchtig darzustellen, ohne doch ihre kleinen, weiblichen Schwachen zu verschweigen. Im Gegentheil erscheint Elsbeth noch liebenswürdiger durch ihre Begierde nach dem Erbschmuck der Rathenows, obgleich sie durch das Zurschautragen des Schmucks den letzten Besitz des Hauses aufs Spiel setzt.

Aus der Wohnstube führt uns der Dichter wieder auf die Straße. Rathenow besucht seinen Amtsgenossen in Köln, den reichen Bartholomäus Schumm, um bei ihm eine Anleihe zu machen. Er kommt nur langsam vorwärts, weil in den engen Straßen ein großes Gedränge ist; die Handwerker und Händler treiben ihr Geschäft gern im Freien. Das Gedränge wird noch durch einen Fastnachtszug vergrößert, in welchem die unzufriedenen Gewerke gegen den hohen Rath satirische Opposition machen. Es kommt zur Schlägerei, in welcher Rathenow, gerade weil er die Sache zu ideal nimmt, keine gute Rolle spielt. Bei der Gelegenheit machen sich die verschiedenen Stände und die verschiedenen politischen Parteien in ihrer Eigenthümlichleit geltend und das alte Berlin wird von allen Seiten gewiesen. Der Zuschauer findet seinen Mittelpunkt in der Varbierstube an der langen Brücke, wo er zugleich von dem damaligen Stadtklatsch und den Moden des Tages unterrichtet wird. Noch anschaulicher treten diese bei einem Schmaus hervor, den der Rathsherr Wynn der Stadt giebt: wie die Patricier aßen und tranken, tanzten und den schönen Mädchen den Hof machten, bis es nicht bloß zwischen den Herren, sondern auch zwischen den Damen zur Schlägerei kam, das erlebt man in sehr lustigen und behaglichen Stimmungen.

Dann, um den Gegensatz zu empfinden, wird man in die unteren Regionen des sittlichen Lebens geführt, in die Judengasse, wo ein unterdrücktes Volk sich vor jedem Straßenjungen fürchtet und heimlich Rache brütet, und vor das Thor, wo der Rath eine Dirne auspeitschen läßt, weil sie sich an einer ehrsamen Patriciertochter gerieben. Was hinter diesen gemüthlichen Sitten für eine Brutalität steckte, wird man um so mehr gewahr, da sich diese Nachtscene mit einer anderen kreuzt, der Rückkehr eines schwer betrunkenen Raubritters, Köplin von Zarnetow, aus Berlin, den seine Genossen im Schnee liegen lassen und der nun unter die Botmäßigkeit jener Dirne kommt.

Seine Genossen, Busso von Voss und Wedigo von Luderitz, gehören zum Hofadel des Kurfürsten, halten es aber nicht für unangemessen, heimlich Wegelagerei zu treiben; sie plündern einen Krämer, Berlin geräth in Alarm und ein ganzes Heer, gefühlt von Henning Mollner, dem Liebhaber Elsbeth's, rückt gegen sie aus, während auf der andern Seite der Kurfürst selbst mit einem glänzenden Jagdgefolge sie bedroht. Die beiden Ritter finden Zuflucht in einem Vorsprung des Sees, welchen die Havel bei Spandau bildet.

Es sah damals wilder aus als jetzt; die Wände waren schroffer, von Lehmschichten und den tausendfach verschlungenen Wurzeln zusammengehalten; die hat nun Schnee und Regen langst heruntergespült, die alten Bäume sind gefällt, die Wurzeln, verfault und getrocknet, hielten nicht mehr die Erdschichten zusammen, und die Winterwasser schlemmten Sand und Kies und Lehm dem Meere zu. Wo ein jäher Grund war, da ist jetzt nur eine schwache Senkung. Spärlich sind die Seiten mit Gras und Heidekraut überwachsen, und die Kieferbüsche auf dem gelockerten Boden streben nicht mehr zu himmelhohen Stämmen empor. Damals wucherte mannshohes Farntraut aus dem Boden. Wo jetzt trockene Tiefen sind, trichterförmig eingehend in die Erde, nur das hellere Grün am Boden verrieth den ehemaligen Wassergrund, da waren tiefe stehende Gewässer, und hohes Schilf umkränzte sie, ein unfehlbares Versteck für Verfolgte.

Was nun in diesem Versteck die beiden gehetzten Raubritter empfinden, bis zuletzt der dicke Wedigo von seinem Spießgesellen verlassen wird und allein bleibt, das ist mit einem bezaubernden Humor dargestellt. Er war kein Mann, der das Denken liebte, und überließ es gern Andern. Ausgestreckt lag er da, die Hände unter dem Kopf, und schaute in den Himmel und den Krähen zu, die in verdrießlicher Nähe über ihm flatterten. Das brachte ihn auf den ersten Gedanken: daß nämlich solch ein Vieh es besser hat als in gewissen Lagen ein Edelmann vom reinsten Blut. Dann fragte er sich, womit er das verdient? denn er war im Grund ein gutmüthiger Mann, der Keinem etwas zu Leide that, der ihn nicht reizte oder ihm nicht in den Weg lief. Wenn er Einem aufgelauert, so hatte es immer einen Grund. Entweder er hatte ihm abgesagt oder ein guter Freund, oder der Kaufmann gehörte zu einer Stadt, die es mit einem seiner Freunde verdorben, oder es war irgend sonst was vor Alters geschehen, was nun vergolten weiden mußte. Also glaubte er sich immer im Recht, und begriff schwer, wer ein Recht haben sollte, ihm in sein Recht zu greifen. Hier war es freilich etwas Anderes. Aber er fragte sich: Wie hatte ein solcher armseliger Wicht überhaupt ein Recht?

Als nun der Wind ihm Waldhorntöne zutrug, die immer näher kamen, stehle er den heiligen Ritter Mauritius an, ihn, einen Ritter, um solchen gemeinen Kerl nicht verderben zu lassen. Zwischen den Waldhorntönen klang aus weiter Ferne das lange Hörn derer zum alten Berlin; und noch schrecklicher das Heulen und Klaffen der Hunde. Er hatte auch einmal die Hunde gehetzt auf Einen, und es war ein lustiger Tag für ihn und seine Cumpane gewesen, wie der Kerl gesprungen und gestürzt und geschrien und sich gewälzt und sie gallopirten hinterdrein und knallten die Peitschen und hetzten die Bestien. Jetzt fühlte Herr Wedigo, wie dem Kerl damals zu Muthe war. Und immer näher schmetterte es und hallte wieder, und immer näher das Geheul und Kläffen der Rüden, vom Wald, vom See. Das dürre Laub raschelte, er hörte ihre Sprünge, wie die Meute hereinbrach und wieder heraus, jetzt ganz dicht hinter ihm — nein, vor ihm. Da stand ein Thier auf der Höhe mit funkelnden Augen, die Zunge heraus; nun schlug er an, sein Ruf dröhnte durch die Kiefern und im nächsten Augenblick züngelten elf giftige Mäuler ihm entgegen.

Als Gegensatz gegen diese Waldscene wird dann die Schmauserei des Hofs geschildert; man wird in die damalige Kochkunst eingeweiht, wie in die zierlichen Gespräche der fränkischen Ritler, die denn doch die Stammverwandtschaft mit den Berliner Bürgern nicht verleugnen können. Ungleich kräftiger aber wirkt die Schilderung des Räuberlagers in der Wendenschenke am Kickhovel, im Schneetreiben, vom Geheul der Wölfe begleitet. In Erlmann-Chatrians phantastischen Geschichten kommen ähnliche Wolfsbilder vor, aber unser Landsmann ist ihnen bei weitem überlegen.

Der Führer dieser wilden Räuberbande, der grimme Köptin Zarnelow, wird endlich zur Hülfe gegen den Kurfürsten gewißermaßen als militärischer Befehlshaber nach Berlin berufen; wie er es da treibt, dafür hat W. Alexis allerdings ein köstliches Vorbild gehabt am wilden Eber der Ardennen.

Ich habe den Roman gleichsam in einzelne Genrebilder zerpflückt, glaube ihn aber damit richtig charakterisirt zu haben; denn die Dialektik des sittlichen Problems wie die Geschichte überhaupt sind nur das Bindeglied, durch welches diese köstlichen Genrebilder zusammengehalten werden. Freilich sollte es eigentlich nicht so sein; der Roman würde mehr wirken, wenn es anders wäre. Da aber das, was man gewinnt, von so außerordentlichem Werthe ist, so kann man wohl dem Dichter zu Hülfe kommen und seine Phantasie anders als nach den hergebrachten Regeln der Kunst in Bewegung setzen.

Der nächste historische Roman, "Der falsche Woldemar," 1842, geht in der Geschichte hundert Jahre zurück. Er ist schwächer als der „Roland," vielleicht gerade weil er es mit der Tragik ernster nimmt und ihr einen zu großen Spielraum giebt. Zwar fehlt es auch diesmal nicht an köstlichen Schilderungen. Die Verwüstungen der Mark Brandenburg nach dem Untergänge der Askanier, die Verschwörungen der Pfaffen mit den Feinden des Landes, weil der gegenwärtige Besitzer desselben mit auf Seite des von der Kirche gebannten Kaisers steht; die Züge der Stellmeiser, die in den Wäldern die Reisenden anfallen — ein wenig zu sehr nach Ivanhoe zugeschnitten — die Portraits des Teufels von Soltwedel und des Raubritters Hans Lüddeke, die Herberge in der Stadt Brietzen, die Belagerung von Brandenburg, die Seelandschaft im Havelland, das alles ist vortreffliche Genremalerei. Aber es kommt gegen den Roland nicht auf, weil es leichter hingeworfen ist, während alles Interesse des Dichters sich in der Charakteristik der Hauptperson zusammendrängt.

Das Problem ist verlockend genug für einen echten Dichter; im „Demetrius" und im „Warbeck" hat Schiller etwas Aehnliches versucht; größeren Eindruck aber scheint auf W. Alexis das Vorbild Achim von Arnim's gemacht zu haben, der den Charakter des falschen Waldemar freilich anders, aber auch sehr mystisch auffaßt. Nur ist bei Arnim die Mystik Natur, sein ganzes Denken und Empfinden folgt andern Gesetzen als denen der gewöhnlichen Logik; das Traumleben spielt bei ihm natürlich in die wachen Zustände hinein, während W. Alexis sich das Mystische erst künstlich zurecht machen muß.

Schon gegen das Ende des „Roland," als Rathenow nach Berlin zurückkommt und fühlt, daß er für die Bürger eine mystifche Person geworden ist, wird ein Anlauf zum Traumleben genommen: nur ist es das Voll, das träumt, nicht der Held. Anders im Waldemar. Buchstäblich genommen, ist er auch nach des Dichters Meinung ein Betrüger, obgleich dem Leser mitunter, noch gegen das Ende hin, unnüthigerweife Sand in die Augen gestreut wird. Es ist der Müller Jakob Rehbock, der früh in den Dienst des Grafen Waldemar getreten, mit allen feinen Heimlichkeiten vertraut ist, körperlich und geistig ihm ähnlich, und der bei dem Tode seines Herrn von ihm beauftragt wurde, zur Buße feiner Sünden eine Pilgerfahrt nach Jerusalem anzutreten. Er ist, da er nach seiner Rückkehr sich für den verstorbenen Herrn ausgiebt, ein Betrüger: aber er selbst fühlt sich nicht als solcher; die Intriganten, die ihn als Werkzeug benutzen wollen, werden durch die Hoheit seines Wesens beschämt und kommen nicht gegen ihn auf.

Das Bewußtsein seines Rechts liegt zunächst in dem Bedürfniß des Landes und in seiner Fähigkeit, es zu befriedigen. Die Mark Brandenburg ist am Rande des Untergangs, er fühlt in sich die Kraft, ihr zu helfen, wie der wirtliche Waldemar es gethan haben würde. In diesem Sinn fühlt er sich als echt, und findet den Glauben des Volks, das er zu retten gekommen ist. Er sagt es denen, die ihn aus dem Staube hervorgezogen, geradezu, daß sie Werkzeuge in der Hand Gottes gewesen sind, der ihn zu seiner Mission bestimmt hat.

Aber der Glaube an seine Echtheit hat noch einen mystischen Grund. Indem er übernahm, für die Sünde seines Herrn eine Wallfahrt anzutreten, hat gleichsam eine Seelenwanderung stattgefunden. „Ein Gelöbniß lag auf der Brust des Markgrafen, es ließ ihn nicht sterben, es ließ ihn nicht leben. Was war der, der es auf sich nahm, der mit den heiligen Aufträgen eines Sterbenden, die kein menschlich Ohr hörte, die kaum die erlöschende Stimme aussprach, nur der Blick verrieth sie, ins gelobte Land pilgerte? Er trug die Seele eines Andern, die letzten Wünsche, Gedanken, die allerheiligste Vollmacht, die ein Sterblicher dem Andern gibt. Wer solche Vollmacht übernimmt, der stirbt für sich, er wird ein Anderer. — Gestorben war ich für die Welt, für Kind und Haus, aber nicht für den Ruf Gottes, der über das Meer eine Brücke baute. Der große Waldemar hatte feine Sündenlast am Grabe des Herrn niedergelegt, der frei gewordene Waldemar, ihn rief Gott in sein Land zurück. Das ist Wahrheit. — Sinnst du nach über das Räthsel? — Und wer, Jüngling, kann dir mehr geben als Räthsel! Bist du dir selber keins?"

Auch so gefaßt, wäre das Problem eines echten Dichters würdig. Es ist W. Alexis aber ebensowenig gelungen, als es Schiller in dem verwandten Problem der Jungfrau von Orleans gelungen ist: beiden vielleicht aus dem nämlichen Grunde. Sie haben für die Mischung der verschiedenen Elemente, Begeisterung, Wahn und Trug, keine dialektische Entwicklung gefunden. Es kommt für Waldemar eine Zeit, wo er ein anderer wird, wo er den Glauben des Volks nicht mehr zwingt, weil er nicht mehr der ist, an den sie glaubten; eine Zeit, wo sein Wahn über das Maß hinausgeht, wo er sich für einen Propheten hält, und dann, da die Prophezeihung nicht eintrifft, als von Gott verworfen fühlt. Aber diese innere Wendung und Umkehr des Charakters ist nicht in kräftigen entscheidenden Zügen gezeigt, sie vertheilt sich in einzelne unbedeutende Momente, oder wird auch wohl wieder künstlich zusammengedrängt; was der Dichter dachte, nahm für ihn keine greifbare Gestalt an. Neben dem Helden ist der breiteste Raum der Gräfin Mathilde von Nordheim gegeben, eine Charakterform, die W. Alexis später noch öfters bearbeitet hat. Ein dämonisches Weib, etwas Kunigunde von Turneck, etwas Adelheid Weislingen. Mit der letztern hat sie auch das Ende gemein, ja die vier Sendboten des heimlichen Gerichts sind geradezu aus der dritten Ausgabe des Götz copirt. Sie ist grausam von Natur, des Hasses fähig, in den meisten Fällen eine kalte Cocette, und doch geht ihr Haß aus betrogener Liebe hervor und schmilzt völlig, als sie den Geliebten wiedersieht. Für die widersprechenden Momente ihres Charakters das Bindemittel zu finden, ist dem Dichter nicht gelungen; sie erscheint sich oft selbst als ein Räthsel, es ist ihr einsam zu Muth und es schaudert ihr wie unter Gespenstern. Die Rechtfertigung, die sie gegen ihre Tochter ausspricht, stimmt mit den Thatsachen nicht überein. "Vielleicht wollte Gott nur Gewürm, und verdammte, die den Hals aufrichten. Deiner Mutter Herz schlug zu laut; ihr Sinn war zu frei, ihr Arm griff zu kühn aus. Nur deshalb zerbrach, was ich formte, zerging in Luft und Nebel, was ich zu fassen wähnte." Was dem Dichter bei dieser Figur vorschwebt, ist ihm im Grunde erst beim Proceß der Geheimräthin Ursinus klar geworden.

III

Gleichzeitig mit dem „falschen Waldemar" begann Wilibald Alexis die Herausgabe des „neuen Pitaval," und legte sich damit auf das Studium merkwürdiger Criminalfälle. Der nun folgende Roman, „Urban Grandier, oder die Besessenen von London" erschien 1843 und verließ das vaterländische Gebiet, auf das er erst 1846 in den „Hosen des Herrn von Vrcdow" zurückkehrte.

Der Landschaftsmalerei unsers Dichters ist bisher nur flüchtig gedacht; wenden wir uns, um sie zu charakterisiren, noch einmal zu „Cabanis" zurück. — Etienne, von einem Kameraden, einem Chevalier französischer Abkunft, begleitet, kommt auf dem Wege nach Berlin durch die Luckauer Heide.

"Etienne lag unter hochstämmigen Kiefern und sein Auge verfolgte das Spiel der vom lauen Luftzug durchschauerten Wipfel. Es war tiefe Stille in der weiten Heide. Nur die Bienen summten um die violetten Nlüthen des Haidekrautes, ein einsamer Specht hämmerte an den Fichtcnstä'mmen, Krähen flatterten um das Nest oben. Das helldurchsichtige Himmelsblau verrieth den nördlichen Herbsttag, und doch brannte die Mittagssonne. Etienne sog den duftigen Harzgeruch ein, und sein Auge verfolgte das Spiel, das der Wind mit einem Tannenapfel trieb. Er nickte den rauschenden Kiefern zn, und horchte mit Lust der eintönigen Musik, die sich forlwiegte auf den Wipfeln meilenweit. — Indeß tränkt sein Kamerad die Pferde.

„Das unterscheidet allein unsere vertrackten Sandwüsten von den afrikanischen, daß man Wasser trifft."

„Höre doch das Rauschen über uns! es hat mich lange keine Stimme so bewegt; mir ist, als bewillkommten mich die Geister meines Vaterlandes."

„Und mich, wenn die zähen knorrigen Kiefernäste geschüttelt knarren, überläuft eine Gänsehaut. Wie kann man in Italien gelebt haben und nicht gähnen bei dem tristen Nadelholz! Wäre es noch in Schottland oder Norwegen, wo die Fichten, von Nebelstreifen durchschwitzt, auf schroffen Klippen in den Abgrund schauen, wo ein Orcan sie fassen und hinunterschleudern kann. Hierzulande sind sie nichts als die personificirte Langeweile: ohne Abdachung oder Terrasse, auf einem so dürren Waldsteck, daß selbst sie für ihre Wurzeln keine Nahrung fanden. Da schaue diese lieblich violetten Blumenfelder von Kraut! wenn ich mit dem Fuß durchfahre, ist es, als ob ich mit dem Stiefel durch eine staubige Kratzbürste streifte. Sonst gedeiht nicht einmal das Kraut, die weißen und gelben Flechten halten kaum den Boden zusammen, als hätte die liebe Sonne sich in der Marl in puren Sand umgesetzt."

„Chevalier! sieh doch oben das Hellblau an! ich glaube, es schwimmt kein Atom darin."

„Weil der Himmel nichts zu reflectiren findet. Nun denke dich im August her, wenn die Mittagssonne brennt wie in der Provence, nur kein Provenceröl aussiedet, sondern Kiefernharz. Du hast dich verirrt in der meilenlangen Haide, wo jeder Weg ein Holzweg und jeder Baum ein Meilenzeiger ist, an dem geschrieben steht: du kannst hingehen, wohin du willst! Die Zunge lechzt dir wie einem tollen Hunde, Stirn und Scheitel glühen, und die Fußsohlen versinken in dem trocken gekochten Pulverstaub. Wenn du halb verschmachtet dich hinwirfst, findest du unter den Nadeln kaum Schatten; kein Gras, kein schwellender Moosteppich, so weit das Auge reicht, und fällst du endlich hin, so mußt du zufrieden sein, wenn die Ameisen nicht über dich herfallen." —

Wie der verwöhnte Chevalier, so hat wohl häufig der Norddeutsche selbst empfunden, wenn er zu Fuß die Mark durchstreifte. Der erste Eindruck ist trostlos, und man kann sich schwer vorstellen, daß in dieser Art von Landschaft Poesie stecken soll. Wilibald Aleiis hat diese Poesie entdeckt und sie mit einer so gewaltigen Kraft herausgetrieben, daß sie nun auch dem Unempfänglichsten aufgeht. Er hat dem Marker das Auge zu offnen verstanden für das tausendfache Schone, das in seiner Sandwüste liegt.

„Die Sonne wirft den scharfen Strahl auf die Gipfel der Berge und in die Thäler, sie leuchtet so hell auf das Dächermeer der Städte, als auf die. bemoosten Hütten der Dörfer. Ueberall schafft sie Bilder, und sie fragt nicht nach Vornehmheit und Schönheit, ob sie die Firnen der Alpen anglicht, oder ihren Abendhauch in den Hagedorn sprenkelt, da auf dem einsamen Rain, wo nur die Mücken wirbelnde Kreise durch die goldene Gluth ziehen. Unsere Kunst thut es nicht gleich der großen Gleichmachen."

„Wenn die Monotonie einer afrikanischen Wüste den Maler zum Bilde begeistern kann, was nicht auch eine der wüsten Moorgegenden, an denen unsere Küstenländer so reich sind? Das Licht macht die Landschaft; die Stimmung, in der wir sie betrachten, drückt ihr den Charakter auf. Der einsame Raubvogel, der über dem buntschillernden Wasserspiegel schwebt, die graue Weide, vom Winde zerrissen, das bleichende Gebein eines Thieres, ein morscher Wegweiser, dessen Arme niedersinken, eine überwachsene Wagenspur, die in Gras und Moor sich verliert — hauche das rechte Licht darauf und bringe den Sinn dafür mit, so ist das Bild fertig."

In diesem Sinn wird (im „Isegrim"), übereinstimmend mit der Stimmung des Romans, ein regniger Tag in den Umgebungen der Hohen-Ziatz geschildert. „Aus dem graudunstenden Horizont schoß ein mattgelber Lichtstrahl auf das Torfmoor. Es lebt, und es war doch kein lebendiges Wesen da, so weit das Auge trug. Auch der Wind bewegte nicht die entblätterten Gesträuche. Grau in Grau umspannte Himmel und Erde. Und doch hätte es einen Maler entzücken können, das weite Bild einer absterbenden Natur. Die scharfgeschnittenen Torfgräben mit ihren grauen Wasserlinien freilich nicht, aber diese Linien liefen nur aus wie Radien, welche die Cultur hineingeschnitten in die noch unbewältigte Masse. Freilich hatten schon die Väter Torf gegraben, aber das war lange her, und die Natur hatte wieder Besitz genommen von ihrem Eigenthum. Die scharf abgestochenen Wände waren eingefallen, das quellte über, Gestrüpp und Schilf wucherten, und die braun-gelben Hügel waren überwachsener Auswurf des Spatens. Da verfiel eine Hütte, von den alten Torfgräbern zum Schutz vor der Witterung errichtet; aus ihrem eingesunkenen Dach wuchsen junge Birken auf, und wenn der schräge gelbe Strahl alle die aufquellenden Wasserstrahlen traf, wenn er sich drüben am Horizont an den bloßgelegtcn Hügeln brach, die ihren rollenden Sand ins Meer schütteten, konnte man sagen, die Gegend blitzte, lebte. Es war aber nur das letzte Aufblitzen, hätten Andere gesagt, eines Sterbenden: seine Augen starren noch einmal die Gegenstände an, die er nicht mehr sehen soll, und im Körper ist schon der Todesfrost, der ihn nieder, sinken läßt, ein starrer Klumpen, Eide um Erde zu werden. Wenn die Wolken sich schlössen, der Strahl versank, schillerten und blickten auch die Wasser nicht mehr, es ward Alles wieder Grau in Grau."

Mit besonderer Farbenkraft entwickelt W. Alexis die Poesie der Haide. „Wer im heißen Sommer," heißt es in „Dorothee," durch eine märkische Haide reist, denkt, da können keine Geister und Kobolde wohnen. Komm aber, wenn Abends der Wind anhebt und ein Gewitter im Anzug ist, wenn es durch die fernen Büsche flüstert, die welken Blätter sich am Boden bewegen, der Staub sich hebt und die ersten Vögel als ängstliche Boten hin und her flattern; wenn dann ein Stoß und wieder einer wie ein Kanonenschuß aus dem Walde fährt, weiß der Schäfer, was es zu bedeuten; er steckt den Strickstrumpf ein und sucht den übergipfelten Abhang, der Hund treibt die Schafe zusammen. Wenn es dann heraufkommt, der Sand sich wirbelt, als wolle er ingrimmig den Hagebuttenstrauch, der noch von seiner Armuth Nahrung saugt, in die Lüfte schleudern, wenn die Riesenarme der rothen Kiefern knarren und sich schütteln, die Krähen Unglück kreischend in die Höhe steigen, um sich in dem Aufruhr der Lüfte zu wiegen, sie wissen nicht wohin; wenn die ersten dicken Tropfen durch die Sandwolken fallen, und es nun prasselt, peitscht, dunstet, heult: dann möchtest du das Ohr schließen, um die hohlen Geisterstimmen nicht zu hören. Aber es sind nur polternde Geister. Wohl knicken sie manchen jungen Stämmling, wohl bricht eine schlanke Birke und stürzt eine morsche Buche entwurzelt über das Gestrüpp, es zerdrückend; aber es muß arg kommen, wenn die hochgewipfelte Kiefer, die in grimmiger Geduld ihre Schmerzenslaute in den Sturm schickt, der Gewalt unterliegt. Neckische Kobolde nur sind's, die den Wandrer glauben machen wollen, daß eine Sündfluth im Anzuge sei, und wenn er sich in heillose Angst jagen läßt, Gelübde auszustoßen, die er nicht halten kann, so lachen sie hinter seinem Rücken. — Oder sahen wir nicht oft die dicke, schwere Wetterwand ansteigen, der Hauch berührt schon unser Haar, und während die Schlössen über uns herabgießen, blitzt es vor uns, und durch einen Blitz erblicken mir pures Gold — eine Reihe ferner sonnbeschienener Sandhügel, daß wir ausrufen möchten: ach, wenn wir dort wären! — Und wären wir dort, ständen wir weitab verirrt auf einer nackten Scholle, während das Schild der Schenke drei Schritt vor uns an der Stange knarrte, und wir sahen es nicht. Den Wanderer in die Irre zu führen, bis er das Nächste und sich selbst vergißt, das ist Koboldslust." —

„Wenn du aus einem langen, bangen Kiefernwald kommst, der von oben aussieht wie ein schwarzer Fleck Nacht, welchen die Sonne auf der Erde zu beleuchten vergessen, und nun fangen sich die hohen Bäume zu lichten an, die schlanken braunen Stämme werden vom Abendroth angesprenkelt, und die krausen Wipfel regen sanft ihre Nadeln in den freier spielenden Lüften, da wird dir wohl zu Muth ums Herz. Das Freie, was du vor dir siehst, sind nicht Rebengelände und plätschernde Bäche, aus fernen blauen Bergen über ein Steinbett schäumend, es ist nur ein Elsenbruch, vielleicht nur ein braunes Haidefeld, und darüber ziehen sich Sandhügel hinauf, in denen der Wind herrscht, das magere Grün, das von unten schüchtern hinaufschleicht, anheulend wie ein neidischer Hund, der über seine nackten Knochen noch murrend Wache hält. Eine Birke klammert sich einsam an die Sandabhänge, ein Storch schreitet vorsichtig über das Moor, und der Habicht kreist über den Büschen. Aber es ist hell da, du athmest auf, wenn der lange, gewundene Pfad durch die Kiefernacht hinter dir liegt, wenn das feuchte Grün dich anhaucht, das Schilf am Fließ rauscht, die Käfer schwirren, die Bachstelzen hüpfen, die Frösche ihren Chor anheben, und dein Auge dem Luftzug folgt, der leise über die Haidekräuter streift.

"Es ist der stille Zauber der Natur, die auch die Einöden belebt; und ihr Auge ist auch hier, denn dort hinter dein schwarzen starren Nadelwald liegt ein weiter stiller, klarer See. Er hüllt sich ein, wie ein verschämtes Weib, in seine dunkelgrünen Ufer, und möchte sie noch fester um sich ziehn, daß kein unberufener Lauscherblick eindringe. Er spiegelt sie wieder in seinem dunkeln Wasser, mit ihrem Rauschen, mit ihrem Flüstern. Aber das dunkle Wasser wird plötzlich klar, wenn die Wolken vorüberziehn, ein Silberblick leuchtet auf; der blaue Himmel schaut dich an, der Mond badet sich, die Sterne funkeln. Dort ergießt der volle See sein Uebermaß in ein Fließ, das vom Waldrand fort durch die Ebene sich krümmt. Hier bespült es Elsenbüsche, die es überschatten und gierig seine Wellen ausschlürfen möchten, sickert über in nasse Wiesen und wühlt sich dort im Sande ein festeres Kiesbett, um Hügel sich windend, an Steinblöcken vorübersprudelnd und durstige Weiden tränkend. Die vereinzelten Kiefern, Vorposten des Waldes, wettergepeitscht, trotzig in ihrer verkrüppelten markigen Gestalt, blicken umsonst verlangend nach den kühlen Wellen: nur ihre Riesenwurzeln wühlen sich unter dem Sande nach dem Ufer, um verstohlen einen Trunk zu schlürfen."

Diese prachtvollen Landschaftsbilder sind aus dem Roman, welcher in diesem Genre das Größte leistet. Das Motiv desselben ist anscheinend ein komisches. — „Die Hosen des Herrn von Bredow" führen ihrem Ursprung nach in die mythische Zeit zurück; sie sind aus der Haut eines Elenn gefertigt, welches zum Ahnherrn des Hauses Bredow in irgend einem unheimlichen Rapport stand: die Verwendung zu einem Kleidungsstück war gleichsam eine Entzauberung. Sie haben sich von Vater auf Sohn fortgeerbt; der gegenwärtige Stammhalter, der alte Götz, hält sie besonders werth. Er ist ein wackerer Landjunker, der für nichts Sinn hat als für Essen und Trinken, aber darin ungeheure Dinge leistet; wenn er einmal betrunken nach Hause kommt, schläft er in der Regel volle acht Tage aus. Er hält nun große Stücke darauf, daß keine ungeweihte Hand seine Höfen berührt: das ist der einzige schwarze Fleck in einer sonst glücklichen Ehe. Seine Gattin Brigitte ist für die Reinlichkeit, und möchte die Hosen waschen: es gelingt ihr auch zuweilen durch List, während des achttägigen Schlafs sich ihrer zu bemächtigen, obgleich immer unter Fährlichteiten, denn der mißtrauische Gemahl hat sie unter seinem Kopf versteckt, und die schelmische Tochter Eva muß ihm leise am Bart kraueln, um sie heimlich darunter wegzuziehen. Brigitte ist eine treue Gattin, und die kleinen Lügen, zu denen sie greifen muß, um ihren Zweck zu erreichen, machen ihr starke Gewissensbisse, aber die Reinlichkeit siegt. Freilich, damit Götz die begangene Unthat nicht merkt, weiden die gewaschenen Hosen erst wieder ein paar Mal durch den Schmutz gezogen.

Zu Anfang des Romans ist gerade ein solches Attentat verübt. Die gnädige Frau hält große Wäsche. Die Scene wird lustig und ausführlich beschrieben; die kleinen Schäkereien zwischen Eva und ihrem etwas tölpelhaften Anbeter Hans Jürgen, die rauschenden Vergnügungen der Knechte und Mägde erlebt man mit großem Behagen mit. Nun aber treibt ein heftiger Sturm die Gesellschaft von der Wäsche nach Hause; unglücklicherweise werden die Hosen vergessen, und der Ritter erwacht, ehe sie wieder da sind. Sein Zorn und seine Versöhnung durch gute Speisen und Getränke gibt wieder ein prächtiges Genrebild.

Indeß haben die Hosen ihre dämonische Wirkung geübt. Hans Jürgen, der Neffe des Ritters, ein wenig das Aschenbrödel der Familie, wird von der gestrengen Hausfrau in den Wald geschickt, um sie zu suchen. Das rettet ihn von der Theilnahme an einem Verbrechen, den Raubanfall auf einen Krämer, den seine Stammes- und Hausgenossen unternehmen. Der unschuldige Götz, der während dessen geschlafen, wird wegen dieses Verbrechens angeschuldigt und verhaftet, die Hosen weisen sein Alibi nach und bewirken seine Freisprechung, obgleich er durch einen schlauen Dechanten sich hatte einreden lassen, er könne im Rausch ausgezogen sein, und ein förmliches Bekenntniß abgelegt hatte.

„Dechant! Mir geht's im Kopf herum, ich weiß nicht, wie mir ist. Aber — wenn sie nur ihre Seife nicht daran gehabt hätte! dann wäre die ganze Geschichte nicht gekommen. Ich weiß auch gar nicht, was die Frauensleute immer mit ihrem Waschen haben! Ich glaube, da steckt auch was vom Satan darin, wenn man immer alles rein haben will. Ueberhaupt, wenn Alles immer beim Alten bliebe, dann wäre nicht so viele schwere Roth in der Welt." —

Frau Brigitte ist tief betrübt über die Abführung ihres Hausherrn. "Ach du lieber Gott! Was soll man nun anfangen!" Die Großmagd blickte sie schlau an."„Gestrenge! der Herr ist fort, da könnten wir ja mal scheuern." Und wieder unterliegt die fromme Frau der Versuchung, wieder rächt sich die Sünde: denn gerade als durch die Scheueret im Haus Alles drüber und drunter gestellt ist, trifft der Kurfürst zum Besuch ein, der dadurch dem Hause Bredow für die unrechtmäßige Verhaftung seines Hausherrn Satisfaction geben will. Bald findet sich aber Gelegenheit, das Böse zum Guten zu wenden.

Götz hat sich in der Trunkenheit mit den andern Junkern in eine Verschwörung gegen den Kurfürsten eingelassen; warum, das weiß er nicht, aber er hat sein Wort gegeben und wird es halten; um es ja nicht zu vergessen, hat er in seinen Handschuh gebissen. Ihn zu retten, unternimmt Brigitte, die davon unterrichtet ist, einen neuen Anfall: sie entführt ihm die Hösen und geht mit der ganzen Dienerschaft aus der Burg, die sie verschließt, nachdem sie vorher sorgsam ihrem Eheherrn reichliche Speisen und Getränke zurecht gestellt. Die Hosen hatte mittlerweile Hans Jürgen angezogen, belauscht in der Verkleidung die Verschwörer und rettet durch die Entdeckung den Fürsten und das Land.

Aber den guten Götz haben die mannigfaltigen Schicksale zu Boden gedrückt; er stirbt einige Zeit darauf, und Brigitte erklärt auf die Frage des Dechanten: "Ach hochwürdiger Herr! wenn man's recht nimmt, er ist eigentlich am Denken gestorben. Das war zu viel für ihn; er war nicht darauf gekommen in seinen jungen Jahren, und nun sollte es mit einem Mal losgehen, als der Leib alt war und die Glieder steif. Es waren alles klare christliche Gedanken, nur, wie gesagt, es war zu viel mit einem Male, darum konnte er sie nicht klein kriegen."

Auch mit dem Tode des alten Götz ist die dämonische Einwirkung der Hosen noch nicht zu Ende. Er vererbt sie an seinen Schwiegersohn Hans Jürgen, der sich verpflichten muß, sie immer zu tragen; erhält sein Wort und veranlaßt dadurch den Spott der Hofleute, die, an die modernen Pluderhosen gewöhnt, ihn als einen ungebildeten Menschen gering schätzen. Es ist ein Schatten, der auf seinem Leben liegt; selbst der Kurfürst, der sonst große Stücke auf ihn hält, weiß ihn damit zu ärgern: wenn Hans Jürgen ihm guten Rath giebt und er ihm nicht zu antworten weiß, klopft er ihm verdrießlich auf die Schultern: »Hans, kümmere dich um deine Hosen! das verstehst du."

Eva, seine treue Gattin, möchte ihn gern von diesem Fluch befreien; sie wäscht die Hosen aus Leibeskräften, aber die Elennshaut widersteht aller Lauge, und als sie einmal der böse Geist versucht, Gewalt anzuwenden und das Kleidungsstück zu zerschneiden, siegt das Gewissen, und Hans Jürgen wird schließlich auf legitime Weise von dem Schatten seines Lebens befreit.

Die Sache hat auch ihre Bedeutung für die Sitten der Zeit. Die Pluderhosen veranlassen die Junker zur Verschwendung, und der Hofprediger Musculus wird nicht müde, wider den Hosenteufel zu predigen. Aber die fromme Kurfürstin, die sonst seinem geistlichen Rath gläubig folgt, kehrt, als er einmal in ihrer Gegenwart das unschickliche Wort ausspricht, die strenge Gebieterin heraus, und weist ihn in seine Schranken zurück.

Wenn nun der Leser in die Stimmung der Kurfürstin gerathen und finden sollte, daß in dem Roman von den Hosen zuviel die Rede ist, so muß man doch bekennen, daß der Refrain zu der lustigen Geschichte vortrefflich stimmt. Denn lustig ist der Eindruck, so ernste Dinge auch darin vorkommen. Götz und Brigitte sind Figuren, in deren Nähe Einem wohl wird, und das schelmische kleine Fräulein mit ihrer echt weiblichen Mischung von Herzensgute und Neckerei, ist eine erfrischende Erscheinung.

Lebhafter als in den früheren Romanen, wird in diesem das märkische Naturgefühl angeregt. Meisterhaft ist namentlich Hans Jürgen's nächtliche Irrfahrt, seine Jagd nach den verlorenen Hosen, wie er sich im Walde und im Moor verirrt, und von weitem die Glocke des Klosters Lehnin hört, während Knecht Ruprecht ihm von den mythologischen Bildern der Heimath erzählt. Auch der Raubzug kommt in prächtigen realistischen Farben heraus. Noch mehr als in dem städtischen Wohn-Hause der Rathenows wird man auf der Burg Hohen-Ziatz zu Hause [fühlen].

"Auf einer Anhöhe, die aus den Sumpfwiesen vorragte, war sie gebaut. Ringsum wo die Gräben und Teiche aufhörten, zogen sich weite Föhrenwälder auf unebenem Boden, dessen Bestandtheil, der helle weiße Sand, schon dicht neben dem schwarzen Moorboden zu Tage lag. Enge und krumme Wege schlängelten sich mühsam durch die Waldung, und die Roggen- und Haferfelder, die in der Lichtung der Forst lagen, schienen dem Auge im Verhältnis zum Walde zu sein, daß es zweifeln tonnte, ob die in der Burg wirklich davon leben konnten. Und doch stieß auf der einen Seite noch ein kleines Dorf daran, dessen elende Lehmhütten sich aus der Niederung in den Wald verloren."

"Aber ein sicheres Nest mußte es in den alten Tagen gewesen sein. Der Hügel, auf dem das Schloß gebaut war, war nicht Sand, sondern festgestampfte Erde, mit kurzem dichten Rasen bekleidet; bei genauerer Betrachtung sah man ihm an, daß er, wenigstens in seinen oberen Theilen, nicht das Werl der Natur, sondern der Menschenhand war; ein Bollwerk, ein alter Burgwall der Wenden, auf dem erst später die deutsche Cultur mit Steinen gemauert hatte. Aber ein Schloß, wie sie im Frankenlande oder in Schwaben auf den Bergen und Hügeln mit den rothen Ziegeldächern in der Sonne flimmerten, war es doch nicht geworden. Die dicken Mauern und Thürme, die über und hinter den Erdwällen sich erhoben, waren nicht in dem Verhältniß ausgebaut, als sie angelegt schienen. Den Herren mochten die Mittel ausgegangen sein, mit so schwerem Geräth ein Haus aufzubauen. Sie waren zu dem Stoff und zum Theil zur Sitte ihrer Väter zurückgekehrt, wo der Stein aufhörte, war mit Holz gezimmert, und wo die gebrannten Steine ausgingen, selbst der Lehm nicht verschmäht, um das Fachwerk auszufüllen. Selbst die Umfassungsmauer schien nicht von allen Seiten fertig geworden, und wo sie Lücken bot, waren diese durch eingestemmte Stämme mit Klammern, Gegenballen und eisenbeschlagenen Spitzen ausgefüllt. Das Thor war noch ein großer, steinerner Bogen, freilich nicht größer als in manchem Bauerhof der sächsischen Lande, aber der achteckige Thurm darüber war schon aus Holz in einander gefugt, das mit rothen Ziegelsteinen ausgemauert war. Bunt genug, und nicht immer rechtwinklich, sah er von draußen aus."

"Es war ein rechtes Nest für Eulen, hätte Einer denken mögen, wenn er Abends einen Blick in den Hof warf. Aber wieder war Alles so klein, daß man auch hätte fragen können, wo denn die Eule und Nachtvogel Platz fänden neben den Menschen? Doch unsere Vorfahren brauchten wenig Raum für sich; unter freiem Himmel war immer Platz genug, und wenn es regnete und stürmte, fand sich doch eine Halle, eine Flur, eine Diele, wo die Genossenschaft am Feuer sitzen und durch Scherz und Gespräch die Ungunst des Wetters vertreiben konnte. Es thut nicht gut, daß der Mensch allein sei mit seinen Gedanken."

"Die Pferde hatten ihren Stall im Hof, die Hunde ihre Hütten am Thor, die Schweine ihre Koben daneben, auch Kühe und Stiere wurden bei schlimmer Zeit in den Zwinger getrieben: wie sie sich da mit den Rossen vertrugen, war ihre Sorge. Der Storch nistete auf der Dachfirst, die Schwalben an den hölzernen Galerien, die um den Hof liefen, die Tauben beim Thürmer, die Eulen in den alten Mauerblenden. War dem Knecht leine Kammer zugewiesen, so stand eine Bank in dem Gange, und lag schon ein Anderer darauf, so jagte er die Hunde fort, die unterm Verdeck im Hof schliefen." —

Es ist von Interesse, die Genremalerei verschiedener Meister zu vergleichen. Die Schilderung der Burg Hohen-Ziatz, so sachlich sie ist, so sehr sie dem märkischen Charakter entspricht, erinnert doch an die andere einer weit davon abliegenden Baulichleit: an die Beschreibung des "Maibaums" in "Barnaby Rudge." Der Roman erschien 1840, es ist wohl möglich, daß einige Reminiscenzen daraus sich bei W. Alexis festgesetzt haben. Die Art, wie ein Winkel nach dem andern aufgewiesen wird, um der Einbildungskraft eine deutliche Physiognomie aufzuprägen, ist in beiden Bildern verwandt; zugleich aber zeigt sich ein merklicher Gegensatz. Bei Dickens verwandeln sich sofort die materiellen Formen, die er anschaut, in eine Art von Persönlichkeit: sie haben Gefühle, sie wollen und fürchten, ja sie denken. Bei dem deutschen Dichter bleibt bei aller Lebhaftigkeit der Stein Stein, das Holz bleibt Holz. Ich wüßte von unseren Genremalern nur Hoffmann, bei denen in der Hallucination ähnliche Metamorphosen vorkommen: Arnim, so phantastisch er erscheint und so wenig Widerstand bei ihm die Gegenstände der Stimmung bieten, scheidet doch genau zwischen Geist und Materie. Wenn die Burg Hohen-Ziatz persönliches Ansehen gewinnt, so ist es nur durch die Menschen, die in ihr weilen. Mit diesen wird man vertraut in jeder Art der Beschäftigung. Die Spinnstube der gealterten Frau Brigitte, als sie ihren Eheherrn verloren hat, nimmt den Leser eben so gastlich auf als das große Waschlager zu Anfang des Romans. Wo die Sache das Genre zuläßt, wird man überall befriedigt: eine komische Geschichte kann nicht besser erzählt sein als z. B. hier der Raub des Tetzel'schen Ablaßkastens durch den Ritter Hauke von Stülpe.

Aber der Roman hat auch einen ernsten tragischen Sinn. Der junge Kurfürst Joachim I. glaubt ebenso an eine höhere Mission als der falsche Waldemar; er will sein Land sittlich und glücklich machen, wenn auch mit Gewalt und ohne viel darnach zu fragen, wie weit seine Umgebungen darauf vorbereitet sind. Nur einen Vertrauten glaubt er zu haben, seinen Rath Wiltin von Lindenberg, der ihm geistig am nächsten steht. Ihm vertraut er alle seine Entwürfe und hält feine freudige Zustimmung für echt. Aber die Hofmännische Bildung ist bei dem ehrgeizigen Mann nur Maske; er gehört nicht nur in der Gesinnung zur Partei seiner Standesgenossen, die den Neuerungen des Herrn mit äußerstem Mißtrauen zusehen, es tobt in ihm auch noch das alte Junkerblut, das sich zuweilen Luft machen muß. Als er einmal leichtsinnig sein Geld verspielt hat, plündert er nächtlich einen Krämer auf der Landstraße. Die Sache kommt auf und Joachim läßt seinen Liebling hinrichten. Vorher hat er aber noch eine Unterredung mit ihm, in welcher Lindenberg, da doch nun Alles verloren ist, ihm geradezu bekennt, er habe ihn stets belogen, und ein Fürst, der ganz in seinen eigenen subjectiven Ideen befangen sei und nicht aus der allgemeinen Natur seines Landes heraus handele, könne nicht Anderes verlangen. Der Dichter spricht nicht mit vollkommener Deutlichkeit aus, wie er selbst darüber denkt: im Ganzen scheint er Lindenberg nicht Unrecht zu geben. In der That sind die nächsten Folgen übel für den Fürsten. Der Adel verschwört sich gegen sein Leben, und in der Strafe wendet Joachim furchtbare Grausamkeit au. Er vereinsamt mehr und mehr: „Gebenedeite Himmelskönigin! ein Fürst ist nicht verloren, der noch einen wirklichen Menschen um sich weiß. Die Klugen sind alle Verräther, ich will's nun mit — mit dem will ichs versuchen."

Der, mit dem er es versuchen will, ist eben unser Hans Jürgen, der Erbe der Hosen, ein wackerer ehrlicher Junge ohne viel Scharfsinn. Ihm gestattet der Fürst freies Wort; aber, wie Hans Jürgen selbst seiner Braut erzählt, sieht er ihn dabei an, als wollte er sagen: "Kann der kleine Hund auch bellen?" Der Ausdruck belustigt die kleine Schelmin so, daß sie ihn ihrem lieben Hans Jürgen nachruft, was ihr aber gleich darauf leid thut. Auch selbst in diesem beschränkten Grade schenkt der Fürst ihm sein Vertrauen nur halb. "Warum ist Der und Jener mir treu?" fragt er ihn einmal; "du auch, Hans Jürgen? Die Macht der Gewohnheit ist's, nicht mehr was dich an mich fesselt. Vielleicht liefest du nicht davon, wenn ein anderer Herr dir mehr Lohn böte: deine Seele ist zu träge, du knirschest in dir, zuweilen wird's ein heiseres Gebell, dann schüchtert dich ein Blick ein, du kriechst in dein Haus und streckst dich und denkst, ob du wohl anderwärts auch so bequem ruhen würdest. Das ist gut, die Trägheit ist die beste Fessel für dies Geschlecht: hebe sie auf, und das Feuer bräche heraus, jedes Flämmchen suchte seinen Weg für sich, Christus, mein Heiland, wie könnte man leben in dieser Welt voll Irrlichter!"

Dies ist der Grund, welcher den Kurfürsten zum hefligen Widersacher gegen die Reformation macht. Die Hofleute freilich sehen es anders an: sie meinen, daß Joachim ihr nur darum nicht beitritt, weil er sie nicht selbst erfunden hat. Vielleicht haben sie nicht Unrecht. Der Dichter macht es dem Leser nicht klar. Er zeigt nicht blos, was ganz richtig wäre, wie verschiedene Motive, kleinliche und ideale, sich in der Seele kreuzen, die zum Entschluß kommen will, sondern er selbst weiß diese Fäden nicht zu entwirren, und dadurch kommt in die Fortsetzung des Romans („der Wehrwolf" 1848) etwas Unruhiges und Unbehagliches.

Wieder hat sich Wilibald Alexis eine höchst interessante Aufgabe gestellt, der er aber nicht ganz gewachsen ist. Die Einsamkeit und der Eigenwille verführen Joachim nicht blos, in der großen Angelegenheit des Vaterlandes sich auf die unrechte Seite zu stellen, sondern sie drängen ihn auch in Thorheiten, die man für unmöglich halten sollte. Er wird der Spielball abgeschmackter Astrologen: einmal läßt er sich einreden, am 15. Juli 1525 stehe eine neue Sündfluth bevor, und wandert mit seinem Hof auf den Kreuzberg aus, um vor derselben gesichert zu sein. Dann wechselt bei ihm Scham und neue Ueberhebung, und die Sache endigt nicht tragisch, sondern verdrießlich.

Seine Einsamkeit wird noch durch einen häuslichen Conflict gesteigert. Während er hartnäckig an der alten Kirche festhält, neigt fein Land sich mehr und mehr der Lehre Luther's zu; auch die Kurfürstin wird eine heimliche Bekennerin. Hier stellt sich nun Wilibald Alexis nicht etwa einseitig zu den Anhängern der Confession, die auch ihm die richtige scheint, er enthüllt vielmehr mit äußerstem Humor die endlichen Beweggründe der eitlen und eigenwilligen Frau. Das Bild kommt gut heraus. Aber die Sache des Kurfürsten wird durch die Schwäche des Gegenparts nicht gefördert. Es kommt zum offenen Bruch, die Kurfürstin entflieht ihrem Gemahl, er verfolgt sie, ist aber leidlich damit zufrieden, als Hans Jürgen ihn auf eine falsche Fährte bringt, da er gar nicht den Wunsch hatte, sie einzuholen. Der leidenschaftliche energische Mann ist so weit gekommen, nicht mehr zu wissen, was er will, und dem Dichter geht es nicht viel besser. Die einzige Ausbeute dieses Zwischenfalls ist die Aeußerung des Kurfürsten über die Betheiligung der Frauen an religiösen  Handlungen, in der die eigene Ueberzeugung des Dichters durchblickt.

"Was will die Anbetung, was sollen die Verzückungen der Frauen für die Wahrheit einer Sache zeugen! Sie müssen anbeten, aufgehen in Verehrung; es ist ihre Art. Schlimm, wo sie aus der Art fallen, schlimm, wo sie nichts anbeten können als sich selbst! Das arme Weib, ich gönne ihr so gern den Trost. Aber beweisen soll das etwas, daß die Frauen an den neuen Altären opfern? — Wenn je ein Zweifel an der Göttlichkeit des Evangeliums mich beschleichen können, wär's, daß die Weiber es zuerst waren, die dem Erlöser nachliefen. Wo laufen sie nicht nach, wo ein Prophet sich ihrer Empfindungen bemeistert, die immer dem Meistbietenden Straßenhelden zu Gebot stehen! Auf diesem weichen Boden von Gefühlen und Entzückungen der Magdalenen, Marien und Marthen wäre die christliche Kirche nimmer erbaut worden. — Und zu jenem schlaffen, matten Weiberhimmelreich voll maßloser Seligkeit und unbestimmter Sehnsucht wollen die Reformatoren die Kirche zurückführen!" —

Die Idee ist dem Dichter selbst nicht fremd. Ueber die Gefahr erregter Weiblichkeit in neuesten Zeiten spricht sich der folgende Roman ausführlicher aus.

IV.

„Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!" so schloß die Proclamation, in welcher der Staatsminister Graf Schulenburg-Kehnert den Berlinern das Unglück von Jena mittheilte. Das bezeichnende Wort hat W. Alexis zum Titel seines neuen Romans gemacht, der März 1852 erschien und sich die Aufgabe stellte, die sittlichen Zustände zu charakterisiren, aus welchen die schmachvolle Haltung Preußens wahrend der Invasion zu erklären ist.

Das Datum des Erscheinens ist nicht unwesentlich. Es war eine der traurigsten und hoffnungslosesten Perioden der preußischen Geschichte, und die Verstimmung macht sich auch im Roman geltend. Heute, da das Höchste erreicht ist, wovon der preußische Ehrgeiz träumte, würde man den Zuständen von 1806 unbefangen gegenüberstehen. 1852 war das schwer. Es war kein augenblickliches Unglück, welches das Volk drückte, es war das Gefühl allgemeiner Kraftlosigkeit; nirgend ein frischer Luftzug, nirgend eine frohe Aussicht. Wer hätte damals mit Bestimmtheit behaupten wollen, die sittlichen Voraussetzungen seien besser als die vor fünfzig Jahren! Es gehörte ein kräftiges inneres Leben dazu, an dem Beruf Preußens nicht zu verzagen. Alexis hatte sich den Glauben bewahrt, und dieser Glaube giebt den Nachtgemälden, die er vor uns aufrollt, eine versöhnende Färbung.

Wieder eine Reihe prachtvoller Genrebilder. Der Dichter führt uns das Leben sämmtlicher Stände vor. Er orientirt uns zunächst in der Berliner Geheimrathwelt, aufgeblasen, liederlich, unproductiv, nur auf äußere gleichgültige Formen bedacht; er stellt einige wirkliche Portraits auf, z. B. Haugwitz, Schulenburg; viel besser aber gelingen ihm die erdichteten Typen; der wirkliche Geheimrath Bovillard, der subalterne Geheimrath Lupinus, der Kammerherr St. Real. Die Zeichnungen sind viel correcter als die ähnlichen bei Tieck und Jean Paul, weil der Dichter über die historischen Farben verfügt. Ich mache namentlich auf einen sehr feinen Zug aufmerksam. Alle diese Wichte sind frivol, ungläubig, egoistisch und bezüglich, und doch geht durch ihre Art zu sein ein Zug philanthropischer Sentimentalität, der eben die Signatur jener Periode bildet. Diese geheimen Räthe ließen sich nicht einfach von Napoleon kaufen, sie bissen an den Köder der Schmeichelei an, und redeten sich in eine Art kosmopolitischer Begeisterung hinein, bis dann endlich das Unwetter ausbrach.

Auch in die eigentlichen Subalternkreise führt uns der Dichter: gute, in ihrer Art gewissenhafte Leute, aber absolut willenlos und unsicher in ihrer persönlichen Ehre. Wie die Familie Alltag in Tempelhof Königs Geburtstag feiert, das bildet einen reizenden Contrast gegen die blasirten Geheimrathsgesellschaften, die man vorher durchgemacht: aber aus diesen Kreisen, das sieht man klar, konnte eben so wenig als aus dem französisirten Hof dem Vaterland in der Noth ein Halt gefunden werden.

Der Bürger- und Gelehrtenstand ist flüchtiger slizzirt, eigentlich mit in ein paar verkümmerten Exemplaren; daß viel darüber reflectirt wird, ist Keine genügende Entschädigung; reflectiren kann der Leser selbst, der Dichter soll ihm Bilder geben. Am wenigsten genügt es, wenn die Reflexionen historischen Persönlichkeiten in den Mund gelegt weiden: wie Stein, Fichte und Schleiermacher über ihre Zeit gedacht haben, das wissen wir aus ihren Schriften und Briefen besser, als der Dichter es uns berichten kann.

Kräftiger heben sich die militärischen Bilder ab. Die jungen Cornets in ihrem Uebermuth gegen den Bürgerstand, in ihrem Verkehr in schlechten Häusern, dazwischen ehrliche, beschränkte, halb drollige Figuren, mit denen die Andern ihr Spiel treiben, wie der Rittmeister Dohlenel, das alles ist wieder ganz vortreffliches Genre. Worauf es aber dem Dichter am meisten ankommt, nämlich zu zeigen, daß auch die militärischen Einrichtungen Preußens den Ansprüchen nicht genügten, das laßt sich einmal im Roman nicht leisten. Wir hören wohl, wie von fortgeschrittenen Leuten der Kamaschendienst getadelt wird, aber das hörten wir 1865 auch, und doch folgte 1866.

In einem Roman ein Gesammtbild von den Zuständen von 1806 zu geben, ist eine schwierige Aufgabe; zu bewundern ist immer, wie namentlich im Anfang mit geschmackvoller Rücksicht auf Farbe und Stimmung eine Scene sich an die andere reiht, wie in dem ziemlich lebhaften Wechsel doch ein greifbarer Zusammenhang sich herausstellt. Für das Ganze war noch ein novellistischer Faden nöthig.

Der Dichter spannt einen doppelten Fa den aus: die Geschichte einer unschuldigen Schönheit, Adelheid Alltag, die durch widerwärtige Zufälle mit allen krankhaften Seiten der Zeit in Berührung gebracht wird, und die Geschichte einer Verbrecherin.

Adelheid's erstes noch halb kindliches Auftreten ist allerliebst, je weiter man aber im Buch kommt, desto mehr erlahmt die Theilnahme. Man will sie zuerst zur Maitresse des Prinzen Louis Ferdinand machen: und in dieser Aufgabe lösen sich eine Gelegenheitsmacherin von Profession und eine Geheimräthin, die ein Haus macht, ab; dann greift man höher, und bestimmt sie für den Kaiser Alexander. Dazwischen wird sie geliebt, erst von einem platonischen Idealisten, Walter van Asten, der ursprünglich für die blaue Blume geschwärmt hat, nun aber Politik treibt und später im Tugendbund eine erhebliche Rolle spielt: neben seinem Patriotismus ein äußerst resignirter junger Mann, der denn auch die Liebe der schönen Adelheid nicht zu erringen weiß. Dann wird sie geliebt von einem Kraftgenie, das in Liederlichkeit unterzugehen droht, weil die Zeit seinen Thätigkeiten keinen Spielraum bietet, Louis Bovillard, Sohn des Geheimraths. Seine Liebe findet Erwiederung, und Adelheid wird ihm angetraut, als er gerade im Sterben liegt: ein Schluß, von dem man nicht weiß, ob man ihn weinerlich oder komisch nennen soll.

Einen viel größeren poetischen Werth hat die eingewebte Criminalgeschichte. Im Anfang dieses Jahrhunderts machte der Proceß der Geheimräthin Ursinus in Berlin kein geringes Aufsehen. Sie gehörte zur besten Gesellschaft, bis man auf den Verdacht kam, sie habe ihren Mann vergiftet. Bald stellten sich noch weitere Umstände heraus, es kam eine ganze Anzahl von Giftmorden zum Vorschein, die sie anscheinend ohne allen Zweck, weder aus Rachsucht noch aus Gewinnsucht, blos aus Liebhaberei begangen hatte. Da es noch keine Geschworenen gab und sie nicht gestand, tonnte sie nicht zum Tode verurtheilt werden, obgleich das Gericht von ihrer Schuld überzeugt war; sie überlebte ihre Gefängnißstrafe. W. Alexis hat im "Neuen Pitaval" den Fall nach den Acten dargestellt, im Roman hat er ihn frei benutzt, wie er ihn für seine Zwecke gebrauchen tonnte.

Der Dichter hat eine entschiedene Vorliebe für dämonische Franengestalten, deren Leben ein grauenvolles Räthsel umschließt; mehrmals hat er den Anlauf genommen, sie zu zeichnen, in Mathilde von Nordheim, in der Kurfürstin Dorothea. Der vorliegende Fall ist wohl am meisten gelungen, weil sich der Dichter in der Sphäre hielt, die ihm am vertrautesten war.

Es lommt ihm nicht darauf an, das Verbrechen zu erklären: welcher Poet wäre das auch im Stande! Er will nur zeigen, wie eine Person beschaffen ist, in deren Seele ein solcher Gedanke, ein solcher Entschluß zum Keim kommt. Er zeigt seine Heldin nicht im Moment des Verbrechens, sondern gleichsam in Uebergangsstadien, wo ihre Seele sich sammelt. Er verurtheilt sie ganz, nicht blos als böse, sondern auch als innerlich hohl und leer; er deutet auf die Hohlheit der Seele als auf den eigentlichen letzten Grund ihres Verbrechens hin: und doch sucht er ihr einen eigenen unheimlichen Reiz zu verleihen, der sein eigenes Interesse erklären soll. Gleich bei ihrem ersten Auftreten.

"Das ganze Gesicht war, was man spitz nennt; vielleicht hätte man auch die kleine Gestalt der Dame so nennen mögen. Indeß war ein Etwas darin, entweder nenne ich es Anmuth oder Elasticität, was diesen Eindruck verwischte. Alabasterarbeit, hätte ein Künstler gesagt, der erst der Hauch des Gedankens oder des Gefühls Farbe und Bewegung giebt. Weder jung noch alt, weder schön noch eigentlich hübsch, konnten doch ihre dunklen kleinen beweglichen Augen, wenn sie aus den blonden Augenbrauen besondere Blicke schössen, anziehen. Es war schwer zu sagen, wovon diese Blicke sprachen, ob von Verstand, Gefühl, Sinnlichkeit; ob sie stachen, suchten, lockten; ob sie aus einer beglückten ober zerrissenen Brust kamen. Sie konnten einen sehr verschiedenen Glanz annehmen, nur nicht den der ursprünglichen Wahrheit, jenen Glanz, der auf den ersten Blick überzeugt. Man sah in diesen Augen, daß die Gedanken und Gefühle sich erst sammeln mußten, um ihren Blicken den Ausdruck zu geben, den sie wollte. Es war überhaupt etwas Besonderes in der Frau; es lag in ihrem Wesen Ruhe und Unruhe, man konnte sie in diesem Augenblicke für sehr bedeutend, im nächsten für ein gewöhnliches Weib halten."

Sie tritt in der Gesellschaft mit vollendeter Sicherheit auf; sie coquettirt wie alle Uebrigen, aber geschickter; sie spielt eine Rolle, aber sie langweilt sich.

"Und das heißt Leben! unter diesen nüchternen, langweiligen, abgeschmackten Puppen wandeln, sich kleiden, sprechen, die Gefühle und Gedanken zusammenhalten, damit ja nichts entschlüpft, was sich nicht schickt! Und darum leben wir!"

Ihr Mann, ein Gelehrter, steckt ganz in seinen Büchern, er läßt ihr völlig freien Willen. Aber er weiß nicht sie zu beschäftigen; sie haßt ihn nicht, aber er kommt ihr wie ein Gespenst vor. Als sie in dieser Stimmung einmal in ihr Schlafzimmer kommt, bemerkt sie eine Spinne und verbrennt sie. Die Scene ist mit großer Virtuosität ausgemalt: der Dichter zeigt bei dieser an und für sich unerheblichen Begebenheit ihre Physiognomie so genau, daß man von den geheimsten Instincten ihrer Seele eine Ahnung bekommt. Die verbrannte Spinne verfolgt sie noch im Traum, sie sieht sich von lauter Gliederpuppen umgeben und eine Stimme ruft ihr zu: man brauchte ja nur alle die Puppen zu verbrennen, das giebt ein gutes Kaminfeuer!

Einige Zeit darauf spricht sie sich gegen den Romantiker Walther ausführlicher aus. Sie gesteht ein, daß es ihr schmeichelt, Mittelpunkt der Gesellschaft zu sein. "Aber wenn sie gegangen, die Lichter ausgelöscht sind, überfällt mich doch wieder ich weiß nicht was — ein inneres Gähnen, eine Hohlheit. Von all dem schwirrenden Geschwätz, von den Händedrucken, den zärtlichen Betheuerungen, was bleibt denn anders als eine Lüge! Ich empfinde das ganze Unbehagen, von dem man mir erzählt, daß es die Schweiger nach ihrem Rausch fühlen."

Als sie sich einmal wieder übermäßig anstrengt, um in der Gesellschaft zu gelten, und Adelheid, die sie als Pflegetochter angenommen, sie fragt: warum muß man denn gelten wollen? erwiedert sie: „Ja warum lebt man? der Philosoph fehlt noch, der uns die Frage beantwortet."

Daß sie Adelheid in ihr Haus nahm, rettete diese aus der furchtbarsten Lage ihres Lebens; es geschah aber nicht aus Wohlwollen: abgesehen von den egoistischen Zwecken, die sie damit verband, stachelte es sie, ein junges, unverdorbenes Gemüth aller Illusionen zu entkleiden, es im Innersten zu verwunden. „Die Frau vergiftet mich!" ruft Adelheid einmal entsetzt aus.

Die unternommene Gesellschaft gilt der Verherrlichung Jean Paul's (beiläufig ein kleiner Anachronismus); sie fällt zur Unzufriedenheit der Frau Geheimräthin aus, die auf eine beleidigende Weise unbeachtet geblieben ist. "Was kann eine Frau," sagt sie in ihrer Bitterkeit, "in dieser Welt der Conoentionen! und wenn die Revolution fortgährte über die Welt, sie erhöbe nur Männer, und die Weiber blieben Sclavinnen. Nur das kleine Spiel der Ränke, um hie und da mit giftigen Nadeln zu stechen, ist ihnen vergönnt. Wenn sie die Armseligen, Gemeinen, Undankbaren von der Erde wegspülen möchte — sie kann nur morden im Traum." —

Wie diese Gedanken in ihr weitergähren, das bleibt hinter einem Vorhang. Sie leidet an Congestionen, Beklemmungen des Herzens, und klagt über Visionen. Im Kreise vertrauter Menschen sieht sie oft andere Gesichter; sie redet oft eine Person an und meint die andere. Die Leute halten sie für etwas mystisch; Moses Mendelssohn liegt immer aufgeschlagen auf ihrenl Tisch. Wir sehen sie wieder, als sie ihr erstes Verbrechen bereits begangen hat: sie hat ihren Bedienten vergiftet, einen guten Kerl, mit dessen krankhaften Zuständen sie sogar einiges Mitleid suhlt.

Für einen Criminalisten hat sie eine besondere Anziehung. "Ich kann die Vorstellung nicht los weiden, daß ich die Frau einmal vor mir sitzen hätte am grünen Tisch, in einem Glorienschein von erhabener Tugend und philosophischer Resignation, Da steht mir der kalte Schmeiß auf der Stirn, wie sie auf meine Fragen antwortet. Sie redet sich aus und in mich drein, daß ich an mir irre werde. Glauben Sie mir, das konnte die Frau in solcher Lage, mit ihrem züngelnden Blick voll Sanftmuth und doch in die Seele bohrend, mit ihrem feinen Lächeln, mit der unendlichen Milde, die um ihre blasse Todtenlippe schwebt! Sie bedauert mich, sich, die ganze Welt, und Gott weiß, was hinter dem Bedauern lauert: Hohn und Haß, Gift und Tod."

Die Geheimräthin hat sich indeß ein vollständiges System zurecht gemacht. "Wir Alle," sagt sie einmal offen zu Adelheid, „werden gemartert von den Verhältnissen, vom Urtheil der Menschen. Die Leute sagen, daß wir endlich gleichgültig werden. Das ist nicht wahr: man wird nicht gleichgültig, wenn man sich nicht aufgegeben hat. Wer sich noch fühlt, ruht nicht, bis er Andere wieder martern kann. Das ist das Gesetz der Welt." — „Das Leben ist ein fortdauernder Krieg Aller gegen Alle. Die stillen friedlichen Pflanzen haben kein ander Naturgesetz, als eine die andere niederzudrücken. Wir leben auf dieser Erde, ihre dämonischen Safte, ihr Alhem zuckt in unserem Blut, und ihr Princip ist: tödten, indem wir nach Luft und Leben ringen. Die Rechtsgelehrten sprechen ja wohl von dem Recht der Noth, wonach von zwei Schiffbrüchigen auf einem Brett der Schlauere und Stärkere den Andern hinabstoßen darf. Die Thoren nennen es einen Ausnahmefall: es ist die Regel, das Naturgesetz, es gilt allüberall." — Wie sie diese Ideen dem jungen Wa ther entwickelt, kommt sie eben aus dem Zimmer ihres Gemahls, den sie durch Arsenikstaub langsam umbringt.

Wie nun die Welt in ihrem Urtheil schwankt, sie bald für eine 'femme incomprise' hält, die ein großes Unglück mit Würde trägt, bald vor ihr schaudert, das ist mit vollendeter Virtuosität erzählt. Noch brillanter die Entdeckung. Der einzige Mensch, der ihr eine stille Neigung eingeflößt hat, ein Legationsrath Wandel, ein Giftmischer anderer Art, denn er vergiftet aus Gewinnsucht, hat sie insgeheim beobachtet: er benutzt seine Entdeckung, ihr Geld abzupressen. Nun bricht in ihr die letzte Illusion; um sich an der Welt zu rächen, öffnet sie das Zimmer ihres Mannes, der eben im Sterben liegt. Dann sucht sie lange im Zimmer nach einem Spiegel, und als sie ihn endlich gefunden, kann sie nichts darin sehen. "Sie rieb und rieb, aber der Spiegel blieb blind. Mein Gott! ich muß doch die Wahrheit sehen! rief sie und sucht nach einem Tuch. Jetzt meinte sie, der letzte Hauch sei abgerieben; sie sah sich und sie sah sich nicht. Allmächtiger, schrie sie auf und preßte die Hände über ihren Scheitel. Diese Bewegung sah sie, aber sonst nur Umrisse. Umsonst quollen die Augäpfel aus ihren Höhlungen hervor, mit einem neuen entsetzlichen Schrei fuhr sie zurück; die Gestalt im Spiegel fuhr auch zurück: Ich bin ja hohl!"

Es hat indeß mit der Frau Geheimräthin noch eine andere Bewandtniß. Sie ist hohl und schlecht, aber die Art, wie sie über die Welt urtheilt, wird von dem Dichter nicht unbedingt gemißbilligt. Adelheid wird darum so von ihr gequält, weil sie ihren Argumenten nicht immer ganz zu widersprechen weiß. Auch sie empfindet die Resignation als eine Lüge. Auch der Dichter empfindet die Resignation als die schlimmste Krankheit der Zeit, die er schildert. In dieser Empfindung liegt das Mittelglied zwischen der Sittenschilderung des Romans und der episodischen Criminalgeschichte.

"Wäre doch," sagt der Criminalrichter Fuchsius, indem er die Acten der Ursinus durchblättert, „ein inniger Connex da, den wir nur nicht sehen, zwischen den Werken der großen Geschichte und den Thaten der kleinen Menschen? spiegelte sich das Ungeheuerliche des Weltbrands wieder im Thun der Individuen? Die Revolution in der Desorganisation der Gefühle und der krankhafte Drang, der Welteroberer erzeugt, rief hier in der schwachen Weiberbrust den Kitzel hervor zur scheußlichen Thai!"

Dieser Fuchsins war früher Assessor im Dienst des Ministers Schulenbnrg; er durchschaute die Erbärmlichkeit der Regierenden vollkommen, gab sich aber dazu her, ihre Politik in den Zeitungen zn vertreten. Als Stein ans Ruder kommt, compromittirt er sich durch ein Plagiat und nimmt in Folge dessen seinen Abschied. Aber er weiß dafür auch andere Gründe anzuführen. Er glaubt nicht an die Möglichkeit einer Erhebung.

"Einen Sturm wollen Sie loslassen," sagt er zum Idealisten Walther, "und was weht er auf? — Staub! mehr nicht. Das Ferment, das Kreuzzüge möglich machte, ist ausgegangen, auch die französische Revolution könnte sich nicht wiederholen. Ja, trockene Stoffe liegen in Hülle und Fülle um uns her, aber es ist Asche. Wo ist etwas Ureigenes, Schaffendes zurückgeblieben, von den Säulen des Hercules bis zur Mongolei? Die Völker sind ein farbloses Decoct geworden, eine träge, weiche, schwammige Masse, der die Excesse der Furcht und Dummheit die elastische Kraft förmlich abgezapft haben."

Fuchsius ist aus der Politik zur Kriminalistik übergegangen: "der Sprung ist für mich zur Rettung geworden, aus einer Welt der Verwesung, über welcher der gleißende Schein immer mehr reißt, in eine Naturwelt, wo es noch chaotisch daliegt, unschön, meinethalben ekelhaft, aber es ist die grelle Naturwahrheit, die der Mensch bessern, veredlen sollte, aber er hat sie verpfuscht. Die Wahrheit, die ich in der Psychologie des Staats nicht fand, suche ich in der der Gefängnisse. Jetzt begreife ich die Völkerwanderung."

Es ist nicht blos der zweideutige Politiker, der so empfindet; hören wir, wie Wilibald Alexis den Freiherrn von Stein über die Lage der Dinge urtheilen läßt.

„Gott allein kann helfen. Wenn kein Gewitter diese faule Luft reinigt, so helfen alle unsere Vorschläge nichts. Dies in liederlicher Humanität aufgepeppelte Lottergeschlecht ist zu nichts Urkräftigem mehr tüchtig. Im glücklichsten Fall würden sie unsere Plane wie ein neues Spielzeug hinnehmen, das so lange amüsirt, als es neu ist. Die Blasirtheit ist weder der Begeisterung noch der Entrüstung fähig. Im Drang nach Unterhaltung spielen sie mit Allem, was ihnen hingeworfen wird, sie flattern aber auch in jedes Netz, das die Arglist ihnen stellt. Die Herrschaft dieser frivolen Schwätzer ist nicht geeignet, den Boden zu anderer Saat weich zu machen. Ein Ekel muß doch am Ende die bessere Natur überkommen, auch die nichts Besseres weiß: sie stürzt sich dann aus Verzweiflung in das erste Beste, das ihr vorgehalten wird. Die Versuche der Wöllner und Bischofswerder kamen nur zu früh, zu ungeschickt. Darauf ließ man die Romantiker los; junge Genies, von denen ich gern glauben will, daß sie in ihrem taumelnden Uebermuth selbst nicht wußten, an welchen Fäden sie flatterten. . . . Den ewigen Gott haben sie zum sentimentalen Großpapa im Schlafrock gemacht. Gott läßt sein nicht spotten. Den Gott am Kreuz wollen diese nicht mehr anbeten, es können Andere kommen, die fordern, daß wir das Kreuz ohne den Gott anbeten."

Ebenso faßt eine geistreiche Frau, die russische Fürstin Gagarin, die deutsche Bildung auf. „Was ist sie? Eine bunte Garderobe, aus allen Ländern zusammengeholt, Frack und Frisur aus Frankreich, ein Surtout darüber aus England, bunte Flitter aus Italien, Spanien, wo es her ist. Und die gerühmte Intelligenz, aus welcher Quelle schöpft sie? Aus schleichenden Flüssen, künstlichen Canälen. Womit beschäftigte sich ihre Poesie, Philosophie und Kunst, als über die Wüste der Alltäglichkeit einen glitzernden Teppich zu weben, und den Gott, den sie nicht sahen, aber doch bisweilen fürchteten wie Kinder das Gewitter, aus seinem Aethersitz herabzureißen und ihm ein bürgerliches Kleid anzuziehen, bis er zum guten Nachbar ward, den man zu Gevatter bittet und die Hand schüttelt. Wen verfolgen diese Nicolaiten, als die von seinem Geist durchschauerten! So im Siegeswahn haben sie über dem Schutthaufen, der Gott und Teufel, Religion und Aberglaube begräbt, den Thron der Aufklärung aufgerichtet. Der rechte neue Aberglaube und Aberwitz, wo den Sündern vergeben wird, wie man irgendwo Gefangene laufen läßt, weil kein Gefängniß für sie ist. Die nach dem Trunk dürstenden Wüstenpilger speist man ab mit dem Trost, ihr Durst sei Illusion, er werde vergehen durch Enthaltsamkeit."

Die Fürstin treibt nicht Giftmord wie die Ursinus; aber sie läßt einmal einen Kutscher wegen geringen Versehens zu Tode peitschen. Sie hat stark religiöse Anwandlungen, sie spricht mit den Worten de Maistre's, sie ist die Agentin des Kaisers Alexander gegen Napoleon und die Revolution. Ueber die Bedeutung der Magdalenen für die christliche Symbolik, und den Beruf der Frauen überhaupt spricht sie sich sehr geistreich aus. In Wandel sah sie zuerst wie die Ursinus einen dämonischen Menschen; er wurde ihr Liebhaber, nachher verachtete sie ihn und warf ihn zur Thür hinaus. Zur Ursinus steht sie in geheimnisvollen Beziehungen; sie verstehen einander, aber die vornehme Frau blickt höhnisch auf die Bürgerliche herab.

Ein anderes Symptom von der Krankheit des Zeitalters, Louis Bovillard. "Was kann man denn Besseres thun in dieser Gesellschaft, als sich selbst verwüsten! Trinken, und wenn man erwacht, wieder trinken. Sind nicht alle Edleren bei uns dazu verdammt? — Lieber doch berauscht untertauchen und rasch, als nüchtern zusehen, wie wir Zoll für Zoll im Morast versinken. Oder wo ist denn die Kraft, die nach Besserem ringt, wo nur ernster Wille? Die beschränkte, duckmäusige Tugend, die sich den Himmel malt an ihre vier Wände, aber der Himmel draußen ist ihr zu frisch und kühl. Wem nun anderes Blut in den Adern pulst!"

Aehnlich urtheilen die Giftmischer. "Es ist keine unedle Natur," sagt die Geheimräthin von Adelheid, "die den Drang fühlt, sich zum Opfer zu bringen. Aber das Mädchen ist krank. Es ist die Krankheit der Resignation." — "Daß Sie," entgegnet Wandel, "ein armes junges Mädchen anklagen um die Krankheit, welche Theologen, Dichter Philosophen um die Wette unserm Geschlecht einimpften! Um das Siechthum unserer Staaten, unserer Bildung, daß wir aus uns hinaus uns denken, schwärmen, speculiren, statt zu rechnen!" Etwas später: "So ist sie, voller Laune und Phantasie." — „Wie unsere Zeit und diese Menschen. Nichts, wohin wir sehen, als Phantasie und kein Entschluß."

Es läßt sich nicht leugnen, diese Art, die geheimen Sünden der Gesellschaft und die offenen Sünden des Staats zu combiniren, ist geistvoll; auch entbehrt sie keineswegs des historischen Anhalts. Lesen wir die Anklagen gegen das Zeitalter, von Klinger, Schiller, Fichte und Hölderlin, so kommt uns das, was W. Alexis seine Idealisten sagen läßt, beinahe matt dagegen vor. Auch beginnen diese Anklagen nicht erst, da das Elend wirtlich über Deutschland ausbricht. Es läßt sich wohl begreifen, daß nach dem Frieden von Basel gerade kräftigere Geister von Unmuth ergriffen wurden, da Norddeutschland ruhig zusah, wie von geschäftigen Feinden der Boden des gemeinsamen Vaterlandes unterwühlt wurde, und dieser Unmuth äußerte sich dann in sehr abweichenden Richtungen: die Gründe jener Schriftsteller stimmen keineswegs überein. Aber lange vor dem Frieden von Basel gährte es in den Köpfen der Jugend, und die sogenannte Sturm- und Drangperiode wird man doch nicht unbedingt als ein historisches Document für die Schlechtigkeit des Zeitalters gelten lassen. Daß ein überkräftiger junger Mann, wie Prinz Louis Ferdinand oder Louis Bovillard, weil er keinen angemessenen Spielraum für feinen Ehrgeiz findet, sich dem rohen Sinngenuß ergiebt und darin zu Grunde geht, wird zu anderen Zeiten auch vorkommen: mitten im mächtig bewegten Leben des Ganzen findet nicht Jeder die rechte Gelegenheit, das zu werden, was er hätte werden können. Es muß dann untersucht werden, ob die Krankheit mehr im Ganzen oder mehr im Individuum liegt. Am bedenklichsten ist es, durch eigentliche Criminalverbrechen eine Zeit charakterisiren zu wollen. Der Fall der Ursinus bleibt immer eine Abnormität, ihr Verbrechen steht keineswegs so in einem innern Zusammenhang mit den schlechten Neigungen des Zeitalters wie etwa die Verbrechen der Lucrezia Borgia oder der Brinvilliers. Wer wollte z. B. aus Tim Tode's Unthat etwas auf schleswig-holstein'sche Zustände schließen? Dadurch nun, daß die Giftmischerin in ihren Monologen zu nah an die Monologe der übrigen historischen Persönlichkeiten herantritt, kommt in das so geistreich angelegte Gemälde etwas Schielendes, was keineswegs dadurch gebessert wird, daß ein zweiter Giftmischer sich ihr anschließt. Die Ursinus ist sehr fein psychologisch geschildert, Wandel ist eine Mosaikarbeit, eine Reminiscenz aus Hofmann.

Ich finde, daß die Schlechtigkeit des Zeitalters am kräftigsten hervortritt, wenn man ohne alle Declamation schlicht erzählt was in den Jahren 1806 und 1807 vorfiel; hier im Roman sieht man doch nicht die Sachen selbst, sondern die Stimmungen, die sich gleichsam nebenher entwickeln, und die Stimmung ist nie ein vollgültiges Zeugniß.

In der Fortsetzung des Romans, „Isegrimm" 1854, hat W. Alexis einen strengeren historischen Ton anzuschlagen versucht. Die Geschichte, die sich auf der großen Heerstraße hält, läßt viele Punkte unberührt, die für die Kenntniß der Zustände von Wichtigkeit sind. Was 1806 in den Städten geschah, erfährt man hinlänglich, aber dasselbe Elend und dieselbe Joch breitete sich auch über das Land, und jeder Flecken und Winkel hatte davon zu tragen.

"Der Feind kam nicht wie eine Ueberschwemmung, sondern wie graue Wolken, die langsam aber sicher eine Gegend überziehn, bis sie in einen Regen sich entladen, so durchdringend und andauernd, daß endlich kein noch so verstecktes Plätzchen undurchweicht ist. Die einzelnen Schreckensscenen und Gewaltthaten hätte man abgeschüttelt wie ein Unwetter; aber dann die Colonnen auf Colonnen, die wie ein Alp ruhten, wie Vampyre aussogen, und hinter ihnen die Marodeure, die nächtlichen Einbrüche, Feuersbrünste, die Lazarethe und ihr vergiftender Pesthauch. Doch das Schlimmste war das System, das die Fremden mitbrachten und auf die Verhältnisse, die sie vorfanden, impften. Ihre Commissäre begünstigten nicht die Plünderer, sie retteten wohl vor ihnen das Privateigenthum, denn was sie retteten, retteten sie für sich, die Besitzer wurden ihre Verwalter. Das war der feuchte Nebelregen, der in alle Poren des Landes drang, das Spinnengewebe der französischen Beamten mit höflichen Redensarten und lächelnden Mienen, aber mit Argusblicken und den Klauen des Luchses. Sie drangen bis ins Herzblut, und hatten sich eingewühlt und gefressen, wie die Maden in alle Theile des Leibes; nicht an einem Aderlaß sollte das Opfer verbluten, nein sie pflegten es, damit es wieder Kräfte bekäme, und dann zapften sie langsam und sicher Tropfen um Tropfen ab. Das war der Schrecken der Schrecken, weil man es nicht sah und doch in jeder Fiber fühlte, das systematische Aussaugungssystem, das von der Hauptstadt auslief, bis es mit seinen Schlingen und Fasern das letzte Haus des letzten Dorfes umspannt hielt."

Der Nebel- und Regenstimmung der Geschichte entspricht die Farbe, die Wilibald Alexis seinem Roman gegeben hat: er gehört landschaftlich zu seinen vorzüglichsten Leistungen. Gleich die erste Fahrt über das angeschwollene Wasser der Quilitz zeigt nicht nur echt märkisches Landleben, sie schlägt den Grundton der Geschichte an: die Natur empfindet mit das Elend des Menschen.

In dieser verwilderten Gegend wohnt ein kräftiges wenn auch armes Geschlecht. Die Schilderung der Querbelitzer Schenke, des Schulzen Gottlieb Köpke und des Kutschers Lambrecht ist ein Meisterstück. Die tolle, in ihrer Art aber heimliche Wirtschaft drängt sich dem Zuschauer mit unendlicher Komik auf, die Sitten zeichnen sich fest und deutlich ab. Es ist die echte gesunde Bauernnatur, keine Spur von Empfindsamkeit, eine Fülle der ungereimtesten Vorurtheile, dickköpfiger Widerstand gegen jede Neuerung zum Bessern; dabei aber kluge Beobachtung der wirklichen Dinge, und diplomatische Feinheit im Verkehr mit Vornehmen und Gebildeten. Diese Leute bringen der Einquartierung, von der sie heimgesucht werden, keinen überschwenglichen Patriotismus entgegen; von Deutschland haben sie nie etwas gehört, und was Preußen betrifft, so wissen sie zwar, daß, wer cantonpflichtig ist, für den König fein Blut lassen muß — das ist nun einmal so! — aber weiter hinaus geht ihre Initiative nicht. Die derbe, rüstige Martha läßt wohl, wenn es nöthig ist, sich von den Fremden küssen, um etwa einen Topf Fleisch zu retten; auch die Männer fügen sich, ohne daß ihr Herz angegriffen wird. Wie nun in diesen trägen Naturen allmälig Trotz und Haß erwacht, wie sie zu Schill gehen, um auf eigene Hand gegen die Franzosen zu kämpfen, das erlebt man mit und begreift es vollkommen. Ich weiß nichts Aehnliches als die Bilder von Stavenhagen, die doch jünger sind; die Dichter sind einander ebenso verwandt als die Volksstämme, welche sie schildern.

Von den Bauern kommen wir zum Landadel und lernen alle Typen desselben kennen. Zuerst den Landmarschall von Quarwitz auf Quilitz, ein herzloser Aristokrat im Sinn der damaligen Gouvernements, mit allem Egoismus des Standes ausgestattet, aber ohne das starke Ehrgefühl, das diesen Egoismus adelt; eine vortreffliche Figur, bis zu Ende mit voller Consequenz durchgeführt. Auch das ist gut erdacht, daß diese Menschen immer oben bleiben, in so bedenkliche Dinge sie sich einlassen, weil in ihrer kalten Natur lein Motiv dem andern widerspricht.

Die meisten seiner Standesgenossen sind seiner würdig: eine Reihe verzerrter Figuren; jede mit sehr bestimmter Physiognomie. Um bei der lästigen Pferdelieferung von den französischen Behörden schonend behandelt zu werden, projectiren sie einen Versöhnungsball, zu dem sie die Franzosen einladen; das Unternehmen hat aber ein schlechtes Ende: die Gesellschaft wird von den Schill'schen Husaren überfallen, und in Folge dessen die Behandlung des Landes noch strenger.

Die Gesellschaft ist nicht sehr einladend; die halbgebildeten Damen sind ihrer Männer vollkommen würdig. Trotzdem hat W. Alexis gegen den Stand eine andere Empfindung als Spielhagen.

"Ich bekenne Ihnen," sagt Walther van Asten, der als Emissär des Tugendbundes auch diese Gesellschaft besucht: „trotz der traurigen Erfahrung, die wir gemacht, klopfe ich vertrauensvoller an, wo das Gefühl der Ehre feit Jahrhunderten, wem auch nur als überkommene Pflicht fortlebt, als da, wo es erst geweckt werden soll. Unsere Aufgabe ist es ja, in Sumpf und Brandschutt nach den lebenskräftigen Keimen der Nation zu suchen.... Dies Krautjunkerthum mit seinen Gefühlen, Bestrebungen, Wünschen, die den Begriff eines Staats nicht erfassen können, ihre Ernte sammeln sie nicht zur Saat, nur wie der Hamster zum nächsten Winterbedarf; aus Verehrung ihrer Privilegien kennen sie kein Recht, das über den Besitz hinausgeht, sie können nicht glühen für Ideen von Menschenwohl, weil ihr kleines Ich mit dem engsten Umkreis von Vetter- und Fraubasenschaft alle ihre Gedanken einnimmt und beschäftigt. — Und doch, es sind Menschen, die der Natur näher stehen. Die Erdluft der umgeworfenen Aecker, die Sonne, der Hauch der Kieferwälder hat ihre Haut gebräunt. Sie lieben etwas — sich selbst, ihre Kinder und Familie; sie haben Respect vor etwas — vor ihren Erinnerungen und Namen; es erbt in ihnen etwas fort, wenn nicht die Tugend der Väter, doch ihre Güter und Titel. In dieser Welt, wo Niemand mehr liebt, wo Alles wankt und zittert, greifen wir nach dem geringsten Festen, um uns selbst zu halten."

 Was Walter von Asten hier sagt, ist im Wesentlichen des Dichters eigene Meinung.

Um nun den Kern zu zeigen, der in diesem Staube noch vorhanden ist, wählt W. Alexis einen Junker von reinsten Wasser, eben unseren Isegrimm, den verabschiedeten Major von der Quarbitz auf Ilitz: als Modell hat ihm einigermaßen der bekannte General von der Marwitz gedient. Er ist befangener in den Vorurlheilen seines Standes als irgend einer seiner Genossen, er haßt den Liberalismus nach allen Richtungen; von dem Werth eines Menschen ist nach seinem Begriff der Stammbaum unzertrennlich. Gegen die benachbarten Edelleute, die er gründlich verachtet, ist er voll kalter Ironie, seinen Pastor redet er mit „Er" an; einen wohlgesinnten Gutsbesitzer, in dem etwas jüdisches Blut steckt, behandelt er mit souveräner Verachtung, obgleich er ihm vielen Dank schuldet. Dabei wird der strenge und energische, im ganzen auch gescheidte Mann doch im Stillen von allen denen geleitet, die seinen Vorurtheilen zu schmeicheln wissen, von seiner sehr beschränkten guten Frau, von seinen Pächtern, seinen Bauern, seinem Informator, ja von feinem höfischen Vetter selbst, dem er gerechtes Mißtrauen entgegenbringt. Zu allen diesen wunderlichen Eigenschaften kommt nun strenges Rcchtsgefühl, Ehre, Muth ohne Grenzen, und die Fähigkeit, große Dinge groß zu nehmen. Gedacht ist diese Mischung vortrefflich, und in der Erscheinung kommt sie auch gut heraus: wo Isegrimm auftritt, glaubt man an ihn. Aber es ist dem Dichter nicht gelungen, Handlungen zu erfinden, in denen der Keim des Charakters in Blüthe und Frucht übergeht. Daß Isegrimm später an den Freiheitskriegen tapfern Antheil nimmt, wird nur flüchtig erzählt; was er vorher erlebt, ist durch schielende Romantik in ein falsches Licht gestellt.

Isegrimm hat drei Tochter, von denen er die eine, die hausmütterliche Wilhelmine, wenig schätzt, weil er in ihr nichts Adeliges findet; der standesmäßigen Gesinnung der beiden andern ist er sicher. Er wird aber in seinen Erwartungen getäuscht: Wilhelmine heirathet einen Reichsgrafen, sein Lieblingskind Amalie verlobt sich mit einem armen Candidaten, Karoline wird gar die Beute eines französischen Abenteurers. Die Art, wie sich Isegrimm in diesen drei Fällen benimmt, entspricht keineswegs dem Kern seines Charakters.

Schon die Art, wie er die verständige Wilhelmine in ihren bürgerlichen Neigungen theils gewähren laßt, theils dagegen ankämpft, zeigt mehr Wunderlichkeit, als man aus seiner Natur zu erklären vermag. Sein Verhalten vollends in der Liebesintrigue zwischen Amalie und dem Candidaten streift nahe aus Sinnlose. Er giebt dem jungen Menschen, dessen Schwächlichkeit er durchschaut, eine Stellung als Gewisfensrath und Vormund feiner Töchter, die gegen fein eigenes stolzes und entschlossenes Wesen auf das härteste streitet und deren bedenkliche Folgen er vorhersehen mußte; er verliert bei der Entdeckung ganz die Haltung eines Gentleman, und wenn man das aus dem Uebermaß seines Jähzorns erklären wollte, so hört alle Erklärung auf, als er den eben erst gemißhandelten Manu weiter in seinem Hause duldet und Jahre lang zusieht, wie die Beziehungen auf eine für Alle gleich unwürdige Weise Jahre lang fortgesetzt werden. Im dritten Fall tritt eine Romantik von außen ein.

Der Oberst Espignac, der Verführer der schönen Caroline, ist eine von jenen Figuren, bei welchen der Dichter wieder in die Voraussetzungen seiner früheren poetischen Bildung verfällt. Er ist der Sohn eines Conditors, war zuerst selbst Conditorjunge, dann Schauspieler, Kunstreiter, alles Mögliche, bis er sich in den Napoleonischen Kriegen durch Tüchtigkeit zu hohen militärischen Graden aufschwang. Die Marotte feines Lebens ist nun, daß er sich für den Abkömmling einer uralten legitimistischen Familie auszugeben sucht. Er spielt diese Rolle mit so viel Geschick und Ausdauer, daß er wie der falfche Waldemar halb und halb selbst daran glaubt. Nur lag in der Rolle Waldemar's etwas Positives: da er die Mission des verstorbenen Markgrafen ausübte, konnte er sich in gewissem Sinn für den wirklichen Markgrafen halten.

Espignac dagegen hat mit seinem Betrug gar keinen Zweck; sein Avancement wird dadurch in keiner Weise gefördert, und daß später die Legitimisten wieder ans Ruder kommen würden, konnte er nicht voraussehen. Für das Grundproblem des Romans hat die Sache insofern ihren Sinn, als auch Isegrimm getäuscht wird: er hält Espignac für einen echten Edelmann im höchsten Sinn des Wortes, und wird also in seinen Vorurtheilen durch die Entdeckung beschämt. Aber einmal wird dies Motiv nur ganz flüchtig angedeutet, während es doch die tragische Katastrophe im Charakter des Helden bilden sollte; dann ist es unerlaubt, eine lebendige Figur als Vehikel eines sittlichen Motivs zu mißbrauchen. Eigentlich soll ein Original geschildert werden, das neben vielen andern guten Eigenschaften von der Monomanie der Lüge besessen ist, wie es in Tieck's Novellen häufig vorkommt, freilich in einer Atmosphäre, die dergleichen mehr begünstigt. Oder wollte, Wilibald Alexis die Lügenhaftigkeit der Franzosen geißeln? Diese Art der Lüge wenigstens war bei den Franzosen nicht typisch, am wenigsten 1807.

Eine solche falsche Figur bringt denn auch die anderen in Verwirrung. Schon bei der Entdeckung seiner Schuld, die freilich einige hochpoetische Momente hat, werden wir in ein närrisches Maskenspiel geführt, das den tragischen Eindruck beeinträchtigt: verkleidete Ahnfrauen und dergleichen Costüm aus der romantischen Rumpelkammer; die Verwirrung steigert sich aber, als auf die Schuld Buße und Rache folgen soll. Der Dichter redet sich selbst so in Aufregung und Hitze hinein, daß die Figuren seinem Willen nicht mehr folgen, die Erzählung wird ganz verwirrt, die Gesetze von Raum und Zeit verlieren ihre Geltung, und die Sünde gegen diese Gesetze macht sich auch am Charakterbild geltend: die schließliche Entscheidung erfolgt durch einen Act des Somnambulismus, und ein harter Charakter wie Isegrimm hat nicht das Recht des Nachtwandelns. Dabei ist auch in dieser falschen Episode Einiges sehr brillant, die weitere Entwicklung Karolinens laßt nichts zu wünschen übrig.

Es ist sehr schade, daß Wilibald Alexis für seine Novelle die Einmischung eines ihr ganz fremden Elements für nöthig hielt: sie ist im übrigen sehr glücklich an gelegt. Die Berliner waren durch Fouqué'sche Edelsitze verwöhnt; auch Hauff und andere süddeutsche Dichter gaben den Schlössern und den Edelfräulein immer einen Uhland'schcn Hauch; bei W. Alexis wird man nun einmal die Wirklichkeit gewahr, und begreift, daß das couventionelle Costüm keineswegs zum Wesen der Sache gehört..

Ich kann mich bei dem letzten Roman des Dichters, "Dorothea," kurz fassen. Auch in ihm ist Einiges vortrefflich, die landschaftlichen Bilder aus dem Oderbruch, die zerstörte Haidemühle, die Schilderungen der Rechtsverhältnisse des 17.Jahrhunderts, die Tollheiten der lutherischen Fanatiker und Aehnliches. Aber meistens kommt der Roman auf ältere Motive zurück. Die Kurfürstin Dorothea ist die Geheimräthin Ursinus, nur in eine höhere Sphäre erhoben und vor der äußersten Consequenz der bösen Sinnesart bewahrt: ihr Giftmord ist nur eine Gedankensünde, obgleich man bei der sehr verwirrten Erzählung darüber nicht ganz aufgeklart wird. Der Astrolog Balsamo ist Wandel, und der holländische Philolog Skytte hat so viel von Walter van Asten, als im 17. Jahrhundert nur irgend möglich ist. Der große Kurfürst ist in sehr blassen Farben ausgeführt, und die Schleichhändler und Räuber erinnern mehr als billig an W. Scott.

Ich komme zum Schluß. Ich habe im Eingang die Bedeutung des Dichters hauptsächlich für die Mark Brandenburg hevorgehoben; er ist aber, abgesehen davon, ein Dichter von sehr bedeutender Kraft, der nur darum nicht einen unbedingt reinen Eindruck macht, weil er vielfältig sein Talent verkannte und seine Stimmlage in eine Hohe hinaufschrob, der sie nicht gewachsen war. W. Alexis ist ein Genremaler vom ersten Range. Es werden sich wenig deutsche Dichter finden, die mit seinen Landschafts- und Sittenbildern zu wetteifern vermögen; fast möcht' ich sagen, ich finde keinen. Mit diesem Talent verbindet er ein gründliches Studium der Geschichte und ein Verständniß für alle Züge derselben, die durch die structurirende Masse hervorgebracht werden. Was die großen Männer, die Helden der Geschichte betrifft, so hat er über sie das Urtheil des reif gebildeten Mannes; sich aber in ihre Seele hinein zu versetzen, und aus ihrem Innern heraus zu denken und zu empfinden, das ist er weniger im Stande. Wo er dergleichen versucht, liegt die doppelte Gefahr nahe, entweder triviale Dinge zu wichtig zu nehmen, oder aus dem Dämonischen ins Phantastische zu verfallen. Diese letztere Neigung wird bestärkt durch feine frühere poetische Bildung, durch feinen Zusammenhang mit der romantischen Schule. Diese Schule ging darauf aus, das Große dadurch zur Wirkung zu bringen, daß sie es uns als fremd und unverständlich zeigte: das ist ein bedeutender Schritt über den gemeinen Pragmatismus hinaus, aber es genügt nicht: denn nicht derjenige ist der echte Geisterbanner, der die Geister heraufbeschwört, sondern der sie zu reden zwingt. Wenn also fast in sämmtlichen Romanen unseres Dichters, in dem einen mehr, in dem andern weniger, ein incommensurabeles Moment eintritt, das gegen den Ton des Ganzen verstößt, von dem man also abstrahiren muß, um einen reinen Genuß zu empfangen, so hoffe ich gezeigt zu haben, daß diese Abstraction im hohen Grad die Mühe lohnt: man trägt reichen Gewinn davon, die Phantasie empfängt neue in correcter Anschaulichkeit dargestellte Stoffe, und über diese Stoffe ist die poetische Wärme gebreitet, die uns das Leben lieben und unser Gemüth mit sich selbst versöhnen lehrt.

 

Fontanes Alexis-Essay (1872) in der Fassung der Nachlaß-Ausgabe von Ettlinger (2. Aufl., 1908)

Der Text beginng auf S. 166 des Bandes, im PDF muß die Seite 198 aufgerufen werden.

 

Ludwig Salomon: Geschichte der deutschen Nationalliteratur (1887), S. 450 ff.

 

Viel umfassender als Keller, wenn auch ebenfalls mannigfach gehemmt, vermochte ein Dichter Norddeutschlands das wieder langsam erwachende politische Leben durch eine Reihe tüchtiger historischer Romane zu fördern: Willibald Alexis. Das erste Auftreten dieses Schriftstellers fällt bereits in die zwanziger Jahre, allein erst in den fünfzigern kam er zur Geltung; erst jetzt hatte sich der historische Sinn, das patriotische Bewußtsein der Nation so weit entwickelt, daß sie „Cabanis", „Der Roland von Berlin", „Der falsche Waldemar", „Die Hosen des Herrn von Bredow" mit Genuß und Erfolg lesen konnte, und nun erst entfaltete auch Alexis seine ganze Kraft im „Isegrim", in welchem die vom nationalen Gedanken getragene deutsche Zähigkeit und deutsche Liebe mit Meisterschaft geschildert sind. Wir stellen daher den Dichter auch hier in die Reihe dieser jugendlichen Genossen, unter denen er sich aus den ersten Blick etwas fremd ausnehmen mag, zu denen er aber seinem innersten Wesen nach vollständig gehört. Alexis, mit seinem wirklichen Namen Georg Wilhelm Heinrich Häring, stammte aus einer bretonischen Emigrantenfamilie und wurde am 29. Juni 1798 zu Breslau geboren, siedelte aber schon früh nach Berlin über, besuchte die dortigen Bildungsanstalten, nahm sodann 1815 als Freiwilliger an den Feldzügen gegen Frankreich teil, studierte, nach Berlin zurückgekehrt, die Rechte und trat beim Kammergericht als Referendar ein. Schon bald gab er jedoch seine juristische Karriere auf und widmete sich einzig und allein schriftstellerischen Arbeiten. Die erste Anregung zu dichterischem Schaffen empfing er von Walter Seott, dessen Manier er in seinem Erstlingswerke „Walladmor" (3 Bde.. Berl. 1823 bis 24) so täuschend nachahmte, daß er wagen durfte, es unter Scotts eigenem Namen herauszugeben und sich nur als Übersetzer zu nennen. Die kecke Mystifikation gelang auch ganz vollständig, und Kritik und Publikum hielten den Roman lange Zeit für eine Schöpfung des großen Schotten. Alexis schrieb daraus noch ein Seitenstück zu „Walladmor", „Schloß Avalon" (3 Bde.. Lpzg. 1827), wandte sich dann aber selbständigerem Schaffen zu. Scott hatte die Helden seiner Heimat verherrlicht — besaß Deutschland nicht ebenfalls eine reiche historische Vergangenheit, nicht ebenfalls gewaltige, urkräftige und eigenartige Recken, und mußte die Schilderung ihrer Kämpfe und Schicksale das deutsche Publikum nicht weit mehr anziehen, als die fremde schottische Welt? So fragte sich der Dichter, als er sich aus dem Banne des Einsiedlers von Abbotsford befreien wollte, und, nachdem er Umschau gehalten, trat er an die hohe Gestalt Friedrichs des Großen heran, zu jenem Helden, der das deutsche Volk wieder aus seiner Dumpfheit und Stumpfheit erweckt hatte, und der noch immer die erste Stelle im Herzen der Nation einnahm. Mit großem Geschick entwarf er sodann in „Cabanis" (6 Bde.. Berl. 1832) ein außerordentlich treues und anschauliches breites Kultur- und Sittenbild der friederizianischen Zeit, führte sowohl hinaus in den Kriegslärm, wie in die aristokratischen Zirkel und die Bürgerstuben der Hauptstadt und tauchte die ganze Dichtung in die wärmste Farbe nationaler Gesinnung. Trotzdem fand das Werk nur geringen Beifall; das junge Teutschland führte zur Zeit das Regiment und nahm mit seinen sozialen Problemen und seinem Kosmopolitismus alle Köpfe gefangen. Alexis meinte daher aus falschem Wege zu sein und wandte sich ebenfalls den sozialen Kämpfen zu, allein aus diesem Fechtplatze war er vollständig an der unrechten Stelle, hier fehlte ihm vor allem die Beweglichkeit und die dialektische Schärfe. Die Romane „Das Haus Düsterweg" (2 Bde., Lpzg. 1835), „Zwölf Nächte" (3 Bde., Berl. 1838) und verschiedene Novellen, die er in jungdeutschem Sinne schrieb, gehören zu seinen schwächsten Leistungen. Das fühlte auch der Dichter selbst und kehrte zum historischen vaterländischen Romane zurück, doch stieg er jetzt tiefer in die Vergangenheit hinab, um dem Publikum so viel wie möglich Neues zu bieten. Es entstanden „Der Roland von Berlin" (3 Bde., Lpzg. 1840), „Der falsche Waldemar" (3 Bde., Berl. 1842) und „Die Hosen des Herrn von Bredow" (5 Bde., Berl. 1846—48). In diesen Romanen schildert der Dichter die alte Tüchtigkeit des Volkes, den straffen Bürgersinn desselben, der sich allen Unterdrückungen und Beeinträchtigungen der Freiheit energisch widersetzt, doch ohne alle Überschwenglichkeit, vielmehr mit einer gewissen treuherzigen Behaglichkeit, bei der er sich freilich auch bisweilen in allzugroße Breite verliert. Von besonderem Reiz ist dabei die Treue des Lokaltones; die Städte und Dörfer der Mark, ihre weiten sonnenbeschienenen Heiden, ihre dunkeln Kieferwälder, ihre stillen schilfbewachsenen Seeen weiß er uns mit allen charakteristischen Eigentümlichkeiten und Einzelheiten so plastisch vor Augen zu führen, daß uns bei der Lektüre oft ist, als wanderten wir selbst über das weite, mit Erika überwucherte Blachfeld, umsummt von emsigen Bienen, oder schritten wir selbst durch den Wald, umweht von dem frisch-kräftigen Dufte des Kiefernharzes. Einem großen Teile des Publikums, das bisher von dieser, wenn auch immerhin schlichten, so doch überaus eigenartigen Natur keine Ahnung gehabt hatte, erschloß er damit eine ganz neue Welt.

Nach der Revolution von 1848 trat Alexis wieder in die neuere Zeit hinüber und zugleich, wie schon oben bemerkt, in die wichtigste Periode seines Schaffens. Er entrollte zunächst in „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht" (5 Bde. Berl. 1852) dem Volke ein großes Bild aus Deutschlands Zeit der tiefsten Schmach und dann im „Isegrim" (3 Bde., ebd. 1854) ein nicht minder umfangreiches aus den ruhmreichen Tagen der Erhebung. In dem ersteren ging er aus die Ursache der schweren Niederlagen zurück und wies nach, daß sie in dem „klugen und vorsichtigen" Abfall vom nationalen Gedanken zu finden sei, und in dem letzteren zeigte er, daß nur durch die Rückkehr zum nationalen Gedanken die Abwerfung der Fremdherrschaft ermöglicht werden konnte. Also den nationalen Gedanken auch jetzt, in der allgemeinen Mut- und Hoffnungslosigkeit, wieder mit allem Eifer zu hegen und zu pflegen, war die Lehre, die er den Patrioten mit seinen beiden Werken geben wollte. Und er wurde auch wohl von allen denkenden Lesern verstanden und trug infolgedessen nicht unwesentlich zur Erstarkung des neuen nationalen Lebens bei. Zu bedauern ist nur, daß der Dichter es nicht verstand, seine Romane kunstgerecht auszubauen; Nebensächliches behandelt er meist mit derselben Ausführlichkeit, wie Hauptscenen, und kulturhistorische Schilderungen überwuchern nicht selten auf lange Strecken hin den Faden der Erzählung. Dagegen ist die Charakteristik der einzelnen Personen meisterhaft zu nennen; der Major von der Quarbitz auf Ilitz, der „Isegrim", ist das Urbild eines knorrigen, starrköpfigen, aber ehrenfesten märkischen Junkers alten Schlages, und die übrigen Menschen, der Kandidat Mauritz, der Kürassier-Oberst der großen Armee „Marquis" d'Espignac und selbst der Kutscher Lamprecht, sind sie nicht sämtlich Figuren mit frischestem Lebensblute?

Leider sollte der „Isegrim" das letzte bedeutende Werk des Dichters sein; im Jahre 1857 traf ihn ein Gehirnschlag, der ihn seiner Geisteskräfte beraubte und ihn zu einem langen Siechtume verurteilte. Er starb erst am 16. Dezember 1871 zu Arnstadt in Thüringen, wohin er. in der Hoffnung, in der frischen Bergluft wieder zu gesunden, von Berlin aus 1859 übergesiedelt war. Seine „Gesammelten Werke" erschienen in 18 Bänden zu Berlin 1861—65.

 

Friedrich Kummer: Deutsche Literaturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts (1906), S. 272-274

 

Die Entwicklung von Wilibald Alexis war ganz eigentümlich. In seiner ersten Periode war er romantisch und von anderen Vorbildern abhängig (Walladmor, Schloß Avalon), in seiner zweiten Periode war er selbständig, das Werk dieser Zeit ist der Roman Cabanis, doch stieß der Dichter bei diesem ersten vaterländischen Roman auf den Widerstand seiner Freunde wie der Kritik; in seiner dritten Periode, versuchte es Wilibald Alexis einmal mit dem jungdeutschen Wesen (Haus Düsterweg, Die zwölf Nächte 1838); in der vierten Periode endlich nach 1840 begab er sich wieder auf das Gebiet der vaterländischen Romane, wo er selbständig war.

W. Alexis' unvergängliches Verdienst besteht darin, daß er den deutschen Ge schichtsroman auf dem Boden der Mark Brandenburg geschaffen hat; daß er ferner im Gegensatz zu Freiligrath, Lenau und anderen, die exotische Natur bewundernden Dichtern, die eigentümliche Schönheit, die spröden Reize der norddeutschen Landschaft dem Verständnis erschlossen und endlich, daß er in scharf gezeichneten Kleinbildern aus dem Alltagsleben die größte Treue und Schlichtheit in der Wiedergabe des wirklichen Lebens bewiesen hat. Nur mit teilweiser Berechtigung freilich darf man Alexis den märkischen Scott nennen. Wohl können beide Dichter in warmer Vaterlandsliebe, in Begeisterung für die Vergangenheit ihres Volkes miteinander wetteifern; aber Scott ist denn doch der größere Erfinder, der bessere Erzähler, der gefälligere Künstler. W. Alexis dagegen besitzt mehr Wucht, mehr Tiefe, aber sein Stil ist oft schwerfällig, der Aufbau seiner Werke oft kraus, die Charaktere sind oft nur halb zur Vollendung gediehen und die Situationen sind zersplittert. Das Edelste an Alexis' Erzählungen bleibt seine Begeisterung für die Geschichte und das Land der Mark. Er weiß in den dunkelsten Perioden der heimischen Geschichte Bescheid und läßt die Großtaten der brandenburgischen Markgrafen und Kurfürsten wie der preußischen Könige in lebensvollen Schilderungen vor uns erstehen. Ein glänzendes geschichtliches Bild reiht sich an das andere. Der Held in Alexis' Romanen ist nicht der jeweilige Fürst, sondern das märkische Volk. Dies ist echte Dichterart, wie auch Kleist und Fontane sich stets von einer Verherrlichung und einseitigen schönfärbenden Darstellung des Herrscherhauses fern gehalten haben. Alexis war der erste, der der märkischen Heide ihre eigentümlichen Reize ablauschte. Die alten Städte, deren Backsteinkirchen und Ringmauern sich in Havel und Spree spiegeln, die winklige Burg des Herrn von Bredow, das Rathaus auf der Brücke zwischen Berlin und Kölln, die einsamen blauen Seen in der sonnenbeschienenen Heide mit ihren Kiefern und Farnkräutern, das dunkle Moor im Schnee und Eis des späten Wintertages: all das weiß uns der Dichter in anschaulichster Weise vorzuführen. Er verband Natur und Schicksal, Landschaftsschilderung und Seelenstimmung: darin hat Alexis vorbildlich auf alle späteren Romandichter gewirkt. Hervorhebung verdienen die köstlichen Sittenschilderungen, realistische Bilder aus vier Jahrhunderten von dem falschen Waldemar bis zur Schlacht bei Jena. Angeführt seien folgende: Das Großreinemachen der Frau von Bredow auf ihrer Burg, wobei sie der Kurfürst überrascht; die stürmische Sitzung im Rathaus von Berlin; die Flucht des Kurfürsten Joachim vor dem Weltuntergang auf den Kreuzberg; das Leben der französischen Kolonie unter Friedrich dem Großen; der Ausflug einer Berliner Bürgerfamilie nach Tempelhof; das Festmahl zu Ehren Jean Pauls; das Leben und Treiben in Berlin vor und nach der Niederlage bei Jena u. a. Trotz seiner märkischen Eigenart war W. Alexis doch niemals der eitle Künder der preußischen Ruhmestaten, vielmehr empfand er stets den Zusammenhang von Mark und Reich und erweiterte so seine Werke zu wahrhaft deutschen Romanen.

Nicht alle von den acht geschichtlichen Romanen aus der brandenburgischen Geschichte sind von gleichem Werte. Die bedeutendsten sind: Der Roland von Berlin, Die Hosen des Herrn von Bredow, Tabanis, Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.

Der falsche Waldemar führt ins 14. Jahrhundert, vielfach hat die Sage das Leben des falschen Waldemar ausgeschmückt. Er war ein Werkzeug in der Hand Kaiser Karls des Vierten gegen den Markgrafen Ludwig den Ersten von Bayern. Der falsche Waldemar kam ins Land, als die Mark der Wut ihrer Feinde völlig preisgegeben war. Der Thronforderer besaß überraschende Ähnlichkeit mit dem verschollenen Markgrafen und kannte dessen Leben und geheimste Absichten, von seiner Sendung erfüllt, fühlte er sich als echt, obschon er nur ein Müllersknecht namens Jakob Rehbock war. Er wurde schließlich besiegt und mußte sich unterwerfen (gestorben 1356).

Im Roland von Berlin geht der Dichter um ein volles Jahrhundert in der Geschichte vorwärts. Dieser Roman spielt unter der Regierung des zweiten hohenzollerschen Kurfürsten, Friedrichs des Eisernen (1440 bis 1470) und behandelt den Kampf des Kurfürsten mit der fast reichsstädtisch unabhängigen Bürgerschaft Berlins. Das Sinnbild des höchsten städtischen Rechtes, des Blutbannes, ist die Rolandssäule. Kurfürst Friedrich vertritt die allgemeine Wohlfahrt des Landes und das fürstliche Recht; Widerpart ist der stolze, starre Verfechter des verbrieften Stadtrechtes, der Bürgermeister Johannes Rathenow. Berlin unterliegt, der steinerne Roland wird durch die Straßen geschleift und in die Spree geworfen, der Bürgermeister wird verbannt, aber auch Kurfürst Friedrich der Eiserne verläßt nach jahrelangem Ringen krank und lebensmüde die Mark.

Im Mittelpunkt des Romans Die Hosen des Herrn von Bredow steht Kurfürst Joachim der Erste, der den Beinamen Nestor führt (1499 bis 1535). Noch ist der Kampf mit den Raubrittern nicht zu Ende, so streng der Landesherr auch gegen sie vorgeht. Vielmehr bildet sich eine Verschwörung gegen sein Leben, in die auch der biderbe Ritter Götz auf Hohenziatz verstrickt wird. Er ist ein gewaltiger Trinker, und nur wenn er seinen achttägigen Rausch ausschläft, kann Brigitte, seine ehrsame Hausfrau, die Elennlederhosen waschen, von denen er sich sonst niemals trennt, da er kein anderes Paar besitzt. Frau Brigitte gibt ihrem Eheherrn die Hosen nicht heraus, als politische Verwicklungen drohen und hält den Ritter dadurch von der Teilnahme an der Verschwörung gegen den Kurfürsten ab, die ihm sonst Leben und Freiheit gekostet hätte.

Der Wärwolf  ist die Fortsetzung des vorigen Romans. Kurfürst Joachim hält an der römischen Kirche fest, obgleich die lutherische Lehre viel Anhänger im Lande gewonnen hat. Unter dem Wärwolf versteht der Dichter den Geist der Unruhe, der im Lande umgeht. Die ausgeprägteste Figur im Wärwolf ist der Raubritter Hake von Stülpe.

Dorothee, ein Roman aus der letzten Zeit des großen Kurfürsten (1640-1688), ist der schwächste in der ganzen Reihe.

Cabanis führt uns in der Zeit Friedrichs des Großen in eine Familie der französischen Kolonie in Berlin. Der Dichter verwob eigene Jugenderinnerungen in diesen Roman. Der Marquis von Cabanis ist nur Titelheld, der wirkliche Mittelpunkt der Erzählung ist ein Abkömmling der Refugies, namens Etienne. Das Werk ist ein interessantes Sittenbild aus dem siebenjährigen Kriege´.

Ruhe ist die erste Bürgerpflicht und Isegrim, zwei Romane ans der Zeit Friedrich Wilhelms des Dritten, hängen nahe miteinander zusammen. Der erste (übrigens bedeutendere) Roman führt bis zum Jahre 1806, der zweite entrollt ein Zeitgemälde aus den Jahren der napoleonischen Herrschaft; ein dritter Teil: Großbeeren sollte den Abschluß bilden, blieb aber Entwurf. Mit den Worten „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht" forderte nach der Schlacht bei Jena der Minister Graf Schulenburg die Berliner zur Besonnenheit auf. In dem Roman werden die Ursachen gezeigt, die zur Niederlage Preußens bei Jena führten: Fäulnis der Sitten, die Überhebung der Offiziere, die Schlaffheit der Beamten, die Weichlichkeit der Charaktere; die höheren Stände, so lautet die Grundidee, sind schuld an dem Unglück von Jena, aber im kleinen Landadel, dem untern Bürgertum und dem Bauernstand liegt die Kraft und Tüchtigkeit, die Preußen sieben Jahre später zu retten vermag. Isegrim, die Hauptperson des gleichnamigen Romans, ist der Beiname des rauhen, heftigen, aber tapferen und hochherzigen Herrn von Quarbitz auf Ilitz, dessen patriarchalisches Schalten und Walten in Seiten schwerster Not uns vor Augen gestellt wird. Von Wilibald Alexis ging Theodor Fontane, der Wanderer durch die Mark, der preußische Lyriker und der moderne Romanschriftsteller aus.

 

Adolf Stern: Die deutsche Nationallitteratur vom Tode Goethes bis zur Gegenwart. 4. Aufl. 1901, S. 87 ff.

 

Glücklicherweise traten seit dem Beginn der vierziger Jahre auch auf dem Gebiete der Erzählung und des Romans einzelne Talente hervor, in denen neben dem poetischen Antrieb das Bewußtsein lebendig war, unter welchen Bedingungen diesen ihrer Natur nach stofflichsten, vergänglichsten Formen der Poesie der Stempel der Dauer aufgeprägt werden könne. — Mitten unter der Herrschaft der Tendenzlitteratur, zum Teil ihr zugeneigt und mit gewissen nun schon vergessenen Schöpfungen feines beweglichen Geistes mit ihr verknüpft, entwickelte sich ein kräftiges Talent, eine gesunde Natur, deren poetisches Vermögen an der Größe ihrer Aufgaben wuchs, zu einem bedeutenden historischen Romandichter. Wilibald Alexis aus Breslau (mit seinem bürgerlichen Namen Wilhelm Häring, 1798 — 1871) erschien in seinen poetischen Anfängen noch als Schüler der Romantik. Wahrend des Jahrzehnts zwischen 1830 und 1840 wurde seine Vielseitigkeit von den Versuchen und Anläufen auch der jungdeutschen Schriftsteller angezogen. Aber schon 1832, im Todesjahre Goethes, hatte er mit dem Roman 'Cabanis' das Gebiet betreten, auf dem er seine eigenste Natur bewähren konnte und zu dem er seit 1840 mit gesammelter Kraft und in einer ganzen Folge von historischen Romanen mit Unter- und Hintergrund der brandenburgisch-preußischen Geschichte zurückkehrte. Nach einer üblen Gewohnheit, die aus den Zeiten der Unselbständigkeit unserer Litteratur herstammt, wurde W. Alexis oft als der deutsche Walter Scott bezeichnet. Besser hätte man gesagt, daß er für Norddeutschland und namentlich für Preußen, für die Mark Brandenburg, aus der Preußen hervorgewachsen ist, eine gleiche Bedeutung habe als Walter Scott für Schottland und England. Zieht man in Betracht, daß Scott mittelst einer reichen Handlung, lebendigen Wechsels von Situationen und Gestalten, meist nur das Äußere historischer Vorgänge, das Äußere von Lebensläufen und Menschencharakteren darstellt, daß er zwar die außerordentlichste Mannigfaltigkeit der Gestalten aufweist, aber höchst selten seine Gestalten sich bedeutsam entwickeln und innerlich verändern läßt, so darf man Wilibald Alexis, der psychologisch tiefer ist und sogar mit Vorliebe seelische Prozesse darstellt, den Vorzug vor dem Schotten geben. Anderseits erreicht Häring letzteren in Bezug auf Frische der Phantasie, echte Lust des Fabulierens, poetische Leichtigkeit des Vortrages nicht; es ist gleichsam etwas von der schweren Zähigkeit, der kargen Schweigsamkeit seiner märkischen Menschen, etwas von der eintönigen Natur des Landes und Volkes, die er schildert, in die poetischen Darstellungen selbst übergegangen. Auch Wilibald Alexis gelang es immer nur in den besten Kapiteln seiner besten Schöpfungen, die Fülle historischer Erinnerungen, genauer Kenntnisse der Zeitumstände, Zeitanschauungen und Zeitsitten, die er in sich trug, vollständig in warmes Leben zu verwandeln; vielfach kämpft er mit den aus der Gattung unmittelbar entspringenden Schwierigkeiten und trägt selbst, wo er sie besiegt, einige Narben prosaischen Berichts oder erläuternden Dreinsprechens. Doch heben diese Mängel die volle Wirkung der historischen Romane des Dichters nicht auf; der Kern lebendiger Anschauung und poetischer Stimmung in ihnen, ist echt und stark genug, um der raschen Vergänglichkeit, der die Produkte der Erzählungslitteratur so leicht anheimfallen, längeren Widerstand zu leisten. Wilibald Alexis' Romane gingen aus dem Gefühl tiefer Heimatliebe, patriotischen Stolzes auf das Emporwachsen des brandenburgisch-preußischen Staates, aus bewußten und unbewußten Überlieferungen hervor, mit denen sich eine rege Phantasie, frische Lust an der verborgenen Poesie eines rauhen und mühevollen Lebens verband. Der der Zeit nach am weitesten in die Vergangenheit zurückgreifende Roman Härings, 'Der falsche Waldemar', enthält in der Person des (angeblich) wieder auferstandenen Markgrafen, in der leidenschaftlich-rührenden Liebe des Helden zur Mark und ihren Bewohnern eine schöne Verkörperung der Empfindung, mit der der Poet seinem spröden Stoff gegenüberstand. Und auch das ist nicht zufällig, daß er diesen Stoff niemals ganz und frei zu bewältigen, in lebendige Dichtung umzuwandeln vermochte, als wo er den Humor zu Hilfe nahm, der, wie er das geistige Salz im Volksdasein der norddeutschen Stämme ist, auch viele Situationen und Figuren des in Alexis' Romanen poetisch dargestellten Lebens erst erquicklich, ja geradezu erst genießbar machte.

Die Handlung dieser märkischen Romane Härings entstand frei und zwanglos, wie den Verfasser eine Zeit und die in ihr obwaltende Idee oder eine Gruppe von Gestalten fesselte; sie stellen, chronologisch geordnet, die Entwicklung von Land und Volk dar, aber sie sind von Haus aus so wenig als eine Einheit gedacht und an der Hand chronologischer Ordnung ausgeführt als Shakespeares dramatische Historien. Der Roman aus der Zeit Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs II. 'Cabanis' war der älteste, der am Lebensabend des Großen Kurfürsten spielende Roman 'Dorothea', beiläufig von allen der mindest erfreuliche, der letzte Versuch des Dichters auf diesem Gebiete. Dazwischen lagen dann, historisch durch weite Zwischenräume getrennt: 'Der falsche Waldemar', 'Der Roland von Berlin', 'Die Hosen des Herrn von Bredow', 'Ruhe ist die erste Bürgerpflicht' und 'Isegrim', von denen nur die beiden letztgenannten in Bezug auf Zeitfolge und Zeitschilderung unmittelbar zu einander gehören und gleichsam zwei Hälften einer Kugel bilden. Zwei bedeutende Wendungen in der märkischen Geschichte des Mittelalters: der Übergang der Mark von ihrem alten Manischen Dynastengeschlecht an fremde Herrscher und damit zunächst an gesetzlose, wüste und rohe Zustände, der vergebliche Versuch einer Herstellung der besseren Tage durch den 'falschen Waldemar', den Alexis nicht, wie ein Teil der neueren historischen Kritik, für den echten letzten Fürsten aus dem askanischen Hause hält, dem er aber eine Innerlichkeit verleiht, die ihn dem echten beinahe gleichstellen soll, und dann im 'Roland von Berlin' die erste gewaltige Wirkung der Hohenzollern, die Besiegung der anarchischen Städteherrlichkeit zu Gunsten des Ganzen, geben den Stoff für die am weitesten zurückführenden Romane des Dichters. Es folgt der kampf-und drangvolle Übergang des Mittelalters zur Neuzeit in dem Doppelromane 'Die Hosen des Herrn von Bredow', die Unheilszeit vom Ende des siebzehnten Jahrhunderts in 'Dorothea'; die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, in der Friedrichs des Großen Thaten vollführten, was Friedrich Wilhelm I. vorbereitet hatte, in 'Cabanis'; der Eingang des neunzehnten Jahrhunderts mit dem Verfall und Zerfall des preußisch-friedericianischen Wesens in 'Ruhe ist die erste Bürgerpflicht' und die Erneuerung dieses Wesens in den Trübsalen der Fremdherrschaft und den läuternden Flammen des Befreiungskrieges im 'Isegrim'. Die Mannigfaltigkeit der Handlungen, der Schicksale und der Menschengestalten, denen wir in diesen Romanen begegnen, entspricht der Verschiedenheit der Zeiten und der historischen Bedingungen, aus denen sie hervorwachsen. Gleichwohl fällt eine Art Einheit in diesen so weit auseinanderliegenden Erzählungen auf, die keineswegs die Einheit einer litterarischen Manier oder die gezwungene eines abstrakten geschichtsphilosophischen Gedankens ist, vielmehr dafür zeugt, daß der Dichter den Grundkern und die unter allen Wandlungen der Zeiten sich gleichbleibende Eigenart der märkischen Menschen ergriffen und wiedergegeben hat. In dieser Hervorkehrung des tiefsten sich gleichbleibenden Wesens eines kraftvollen und zähen Menschenschlages liegt eine gesunde Wahrheit und doch ein geheimer Zauber. Der Knecht, der in den .Hosen des Herrn von Bredow' die Schläge des wackeren Ritters Götz in Empfang nimmt, und jener, der im 'Isegrim' den Hofmarschall von Quilow und den jungen Kandidaten dem Gute des trotzigen Wolf von der Quarbitz durch Sand und Kiefernwald entgegenführt, sind durch drei Jahrhunderte getrennte und dennoch innerlich gleiche Naturen; ihre Lebensbetrachtung entspricht der Breite ihres Rückens, der Stärke ihres Nackens. Das Gleiche gilt aber auch von den Menschen, deren Bildung und höhere Lebensstellung augenfälligere Unterschiede bedingt. In den Junkern aus den Tagen Joachims I., den Offizieren des großen Königs und denen der bösen Zeit nach Jena und Auerstedt zeigt sich ein verwandter Zug, das eigentümliche Ineinanderspiel von energischer Thatkraft und verborgener Gemütsweichheit, von trotzigem Egoismus und einer leidenschaftlichen Opferfähigkeit. Die Besonderheit, die das allgemeine deutsche Wesen hier in der Mischung mit den slawischen Stämmen, im Kampfe mit Sand und Sumpf, mit Wasser und Nebel angenommen hat, die allmähliche Wiederverbindung dieser Besonderheit mit der großen deutschen Entwicklung, alles wandelt sich dem historischen Romandichter zu zahlreichen Gestalten mit lebendigem Odem. Auch die Schilderung des Landes ist eine meisterhafte. Die natürliche Kargheit des Bodens und die geringe Kultur der Mark in den Tagen des falschen Waldemar wie in jenen späteren, wo die verschworenen Junker dem Kurfürsten Joachim in der Jauche auflauern, die gesteigerte im Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, aus der dennoch die ursprüngliche Rauheit und Dürftigkeit immer wieder herausschaut, sind meisterhaft vor Augen gestellt, und ohne jedes ungehörige Überwiegen von Schilderung werden wir voll in die Natur hineinversetzt, in der diese Menschen atmen und wirken. Die endlosen Heiden, die Wälder an den stillen Binnenseen, die Moore und Brüche, die schmucklosen Dörfer und die Ackerbürgerstädte, die Gutshöfe, die einfachen Schlösser sind so gut wie die großen Städte im Lande, Berlin und Köln an der Spree und Frankfurt an der Oder, die Schauplätze der Erzählung; eines wie das andere erscheint, der Wirklichkeit entsprechend, in kräftiger, satter, wenn auch nicht leuchtender Farbenfülle gemalt. Wilibald Alexis hat tief in alle diese Landschaften wie in die Menschen, von denen sie einst belebt waren und jetzt belebt sind, hineingesehen, nicht als ein Forscher, sondern als ein Dichter; seine Einbildungskraft hat die tausend unsichtbaren Fäden, die sich von der Vergangenheit zur Gegenwart ziehen, ergriffen, hat tausend zerrissene wieder angeknüpft und zu einem schimmernden Gewebe verbunden. Er hat die alte Zeit in die neue hereingezogen, hat die Gestalten der Vergangenheit so frisch und unverkünstelt vor uns hingestellt, daß wir meinen, ihnen ins Antlitz schauen, ihnen die Hand reichen zu können. Und es bedarf nur eines Vergleiches seiner historischen Romane mit anderen gleichzeitigen, um ihren ganzen Wert zu empfinden.

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